piwik no script img

Keine Einheit im Kommando

Zum 50. Jahrestag der Gründung der Vereinten Nationen stehen der UNO Grundsatzdebatten über ihre Aufgaben und Ziele bevor  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Eigentlich sollte 1995 in der New Yorker UNO-Zentrale vor allem gefeiert werden: der 50. Geburtstag und die Erfolge der im Juni 1945 in San Francisco gegründeten Weltorganisation. Aber dieses Jahr wird wohl eher von schärfsten Auseinandersetzungen über Aufgaben, Ziele und materielle Ausstattung der UNO durch ihre 185 Mitgliedsstaaten im Bereich der Maßnahmen zur Friedenserhaltung und -erzwingung geprägt sein. Einen Vorgeschmack boten zwei Veranstaltungen, die in den letzten Tagen in New York und Washington stattfanden. In einer Grundsatzrede vor dem UNO-Sicherheitsrat übte Generalsekretär Butros Ghali am Donnerstag deutliche Kritik an den diversen Friedenserzwingungsmaßnahmen seit dem Sündenfall des Golfkriegs, als erstmals eine von den USA geführte Staatenallianz eine militärische Kampfaktion zwar „im Namen“ der UNO, aber eben nicht unter ihrem Kommando durchgeführt hatte.

Ghali wiederholte seinen bereits 1993 unterbreiteten Vorschlag einer „schnellen Eingreiftruppe“ der UNO. In bilateralen Verträgen mit der New Yorker Zentrale sollten sich die Mitgliedsstaaten grundsätzlich zur Bereitstellung von Kontingenten ihrer nationalen Armeen an die UNO verpflichten, die dann im Bedarfsfall schnell abrufbar wären und unter einem eindeutigen UNO-Kommando zum Eisatz kämen.

Mit seinem im Mai 1992 vorgestellten Modell einer ständigen UNO-Truppe in der Größenordnung von 30.000 bis 50.000 Soldaten war Butros Ghali zuvor im Sicherheitsrat am Einspruch der USA, Frankreichs und Großbritanniens gescheitert, die darin eine Beschneidung ihrer Einflußmöglichkeiten sahen. Doch auch das zweite Modell stieß bisher kaum auf Resonanz. Denn es bedeutet eine teilweise Aufgabe der nationalen Souveränität der 185 Mitgliedsstaaten – und dazu sind die meisten nicht bereit. Als einziger Staat unterzeichnete Jordanien am Mittwoch dieser Woche ein entsprechendes Abkommen.

Mit Blick auf die Erfahrungen der UNO-Missionen in Somalia, Ex-Jugoslawien und Ruanda monierte der Generalsekretär, daß einzelne entsendende Staaten „Ratschläge oder gar Befehle“ an ihre Truppenkontingente geben. Die „Einheit im Kommando“ sei „ein wichtiges Prinzip“ jeder UNO-Mission. Schließlich warnte er vor Friedenserzwingungsmaßnahmen, für die die UNO nicht über ausreichende materielle und militärische Mittel verfügt.

Selbst die für die beteiligten Blauhelmsoldaten vergleichsweise risikolosen Missionen zur Friedenserhaltung sieht Butros Ghali zunehmend gefährdet. Grund: die schlechte Zahlungsmoral der Mitgliedsstaaten und die sinkende Bereitschaft, sich in diesem Bereich mit Truppen, Ausrüstung und Waffen zu engagieren. Ende 1994 betrugen die Außenstände für das Peace-keeping-Budget der UNO 1,3 Milliarden US-Dollar. Größter Schuldner sind – wie auch beim regulären Haushalt der UNO – die USA.

Noch bevor Ghali seine Vorschläge und Positionen der Öffentlichkeit erläuterte, bezeichnete US-Botschafterin Madeleine Albright sie auf einer Pressekonferenz bereits als unrealistisch. Eine schnelle Einsatztruppe könne „niemals richtig zugeschneidert werden, und sie wäre dauernd im Einsatz“. Albright bekräftigte die Ankündigung der Clinton-Administration, ab Oktober den bislang im Finanzschlüssel der UNO vorgesehenen Anteil der USA am Peace-keeping-Budget ab Oktober dieses Jahres von 30,38 auf 25Prozent herabzusetzen.

Schon auf der konstituierenden Sitzung des Kongresses am Mittwoch brachte der republikanische Mehrheitsführer mit Präsidentschaftsambitionen für 1986, Robert Dole, einen Gesetzentwurf zu den künftigen Beziehungen der USA zur UNO ein. Neben der Reduzierung des US-Prozentanteils am Peace-keeping-Budget sollen die logistischen Unterstützungsleistungen, die Washington bislang kostenlos für UNO-Missionen erbracht hatte, künftig in Rechnung gestellt werden. Und die bisher zwar häufig praktizierte, aber noch nicht gesetzlich verankerte Regel, wonach US-Soldaten nur für UNO-Operationen bereitgestellt werden, wenn diese auch unter dem Oberkommando von US-Militärs stehen, soll verschärft und zum verbindlichen Gesetz werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen