Die Wurstelei des Theo W.

Auf der Suche nach der radikalen Steuerreform konnten sich bisher weder Ökokonzepte noch Steuervereinfachungen durchsetzen  ■ Von Christian Rath

Eine „Dummensteuer“ nennt der renommierte Steuerrechtler Joachim Lang die Einkommensteuer, die zusammen mit der Lohnsteuer zu vierzig Prozent die öffentlichen Kassen füllt. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind so komplex geworden, daß Steuern immer weniger nach Leistungsfähigkeit, sondern eher als „Strafe“ für mangelnde Gestaltungsfähigkeit bezahlt werden. „Ich verstehe unser Steuerrecht auch nicht mehr“, bekannte jüngst Bundespräsident und Ex-Verfassungsrichter Roman Herzog. Für ihn ist das kein Beinbruch, denn er wird sich eine gutdotierte Vermögensberaterin leisten können.

Neben der legalen Steuervermeidung nimmt auch die illegale Steuerumgehung und -hinterziehung zu. Und weil die völlig überlastete Steuerverwaltung nicht mit wirksamer Kontrolle dagegenhalten kann, „wird die Steuer praktisch zur Spende“, klagt die Deutsche Steuergewerkschaft, die Interessenvertretung des Finanzpersonals.

Nach einer „radikalen Reform“ des Steuerrechts rufen deshalb viele. Dumm nur, daß die beiden wichtigsten Reformimpulse dem Steuerrecht nahezu entgegengesetzte Aufgaben zuschreiben. „Mit Steuern steuern“ ist das Credo derjenigen, die das Steuersystem in den Dienst des ökologischen Umbaus stellen wollen. Die Gegenposition, angeführt vom „Bund der Steuerzahler“, sieht gerade in der „Überfrachtung des Steuersystems mit außerfiskalischen Zielsetzungen“ eine wesentliche Ursache des Steuerchaos. Denn wenn das Steuersystem nicht mehr allein der staatlichen Finanzierung diene, dann sei dies das Einfallstor für Lobbygruppen, klagt „Ober-Steuerzahler“ Karl Heinz Däke. Sein Konzept: Alle Steuervergünstigungen streichen und die Sätze der Einkommensteuer massiv absenken. Außerdem soll ein Großteil der bundesweit bestehenden 37 Steuerarten wegfallen. Für eine ökologische Steuerreform kann sich Däke nicht erwärmen. Umweltschutz sei vielmehr mit dem Ordnungsrecht zu regeln.

Reinhard Bütikofer, bündnisgrüner Steuerexperte, glaubt hingegen, daß sich radikale Vereinfachung der Erhebung und die Vorstellung, mit Steuern zu steuern, vereinbaren lassen. Anstatt zum Beispiel die Kfz–Steuer bei jedem einzelnen Autobesitzer einzuziehen, sollte sie in die Mineralölsteuer integriert werden. Das sei sowohl steuerrechtlich als auch ökologisch günstiger, weil Vielfahrer mehr zahlen müßten, so Bütikofer.

Verkehrsminister Matthias Wissmann hingegen geht mit seinem jüngsten Ökosteuervorschlag nur den halben Weg: Er will künftig die Kfz-Steuer am Abgasvolumen der Autos orientieren. Immerhin hat auch er inzwischen verstanden, daß Umweltabgaben – im Gegensatz zum Ordnungsrecht – den Stand der Technik in Bewegung bringen.

Umstritten bei den BefürworterInnen von Umweltsteuern ist, ob die Einnahmen aus den neuen Fiskalinstrumenten ebenfalls dem ökologischen Umbau dienen sollen, so Bündnis 90/Die Grünen, oder ob die zusätzlichen Gelder kompensatorisch an die Unternehmen und BürgerInnen zurückgezahlt werden sollen, so die Modelle des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Ernst-Ulrich von Weizsäckers „Förderverein Ökologische Steuerreform“. Konkret könnte dabei ein Ökobonus pro Kopf ausgezahlt werden und/oder ein Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit erfolgen, um die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken. So würde durch die Verteuerung der Ressourcennutzung gleichzeitig menschliche Arbeit verbilligt werden. Einig sind sich jedoch alle BefürworterInnen, daß Umweltabgaben nur „schrittweise und berechenbar“ eingeführt werden können.

In den letzten zwei Jahren lag allerdings auch die politische Debatte in der BRD fast auf Eis. Alles schaute nach Brüssel, wo die Bundesregierung eine europäische Lösung für eine kombinierte CO2- und Energiesteuer auszuhandeln versuchte. Der Durchbruch, der eigentlich für die jetzt zu Ende gegangene deutsche Präsidentschaft vorgesehen war, scheint jedoch in immer weitere Ferne zu rücken. Deshalb wird der Ruf nach einem nationalen Alleingang wieder lauter. Psychologisch günstig ist dabei, daß nach dem Verdikt des Bundesverfassungsgerichts gegen den Kohlepfennig ohnehin über eine Energiesteuer diskutiert werden muß. Offiziell geht es dabei nur um die Finanzierung der Steinkohlesubventionen, aber das könnte sich schnell ändern. Die neue Umweltministerin Angela Merkel hat bereits eine „CO2-Komponente“ für die kommende Energiesteuer gefordert.

Bislang will sich Finanzminister Waigel aber weder auf die große Steuervereinfachung noch auf die ökologische Steuerreform einlassen. In puncto Umwelt setzt er weiter auf Zeit, während er bei der Steuervereinfachung nach vollmundigen Ankündigungen nun zumindest einige kosmetische Maßnahmen vorgestellt hat. Eine vereinfachte Kurzveranlagung zur Einkommensteuer und die zweijährliche Steuererklärung sollen Bürokratie einsparen helfen, woran SteuerexpertInnen allerdings zweifeln. Daneben werden vor allem Pauschbeträge eingeführt und umgestaltet, ohne daß allerdings grundsätzliche Änderungen bei den Steuerarten in Angriff genommen werden.

Geplant ist, daß dieses „Reförmchen“ in einem Jahressteuergesetz 1996 zusammen mit drei weiteren Regierungsvorhaben umgesetzt wird: Die steuerliche Freistellung des Existenzminimums muß auf Anordnung des Bundesverfassungsgerichts bis 1996 über die Bühne gegangen sein. Mit einem Familienlastenausgleich, hinter dem sich eine Erhöhung des Kinderfreibetrages bei der Einkommensteuer sowie eine Konzentration des Kindergelds auf Familien mit geringem Einkommen verbirgt, soll wohl den in den Karlsruhe anhängigen Verfassungsbeschwerden zahlreicher kinderreicher Familien die Spitze genommen werden. Außerdem will Waigel in einer neuen Stufe der Unternehmensteuerreform die den Gemeinden zustehende Gewerbesteuer teils abschaffen, teils reduzieren. Ein Referentenentwurf für das Steuerpaket soll spätestens Ende Januar vorliegen. Bis zum Spätsommer will die Regierung das Gesetz durch Bundestag und Bundesrat gebracht haben. Das ist sehr optimistisch.

Wie das 96er Paket sind auch die bereits zum Jahreswechsel eingeführten Steuererhöhungen nicht Teil einer längerfristigen steuerpolitischen Strategie. Waigel gelingt es so zwar, seinen Haushalt im Hinblick auf die Maastrichter Kriterien für die Währungsunion halbwegs im Griff zu behalten. Als visionärer Kopf der deutschen Steuerpolitik hat er sich bisher jedoch noch keinen Namen gemacht.

Die SPD kann sich an Waigels Durchwurstelei dank ihrer Stärke im Bundesrat beteiligen und vielleicht manche soziale Instinktlosigkeit, wie die weitere Reduzierung der Arbeitslosenhilfe, verhindern. Es gelingt ihr jedoch nicht, aus den konzeptionellen Schwächen der Regierung mit überzeugenden Alternativvorstellungen Kapital zu schlagen. So lautet etwa die zentrale Passage zur ökologischen Steuerreform in einem Strategiepapier: Die SPD-Vorstellungen „müssen jetzt konkretisiert werden, damit unsere ökologische Steuerreform klare Konturen erhält und die inhaltlichen Unterschiede zu den konzeptionellen Ansätzen anderer Parteien deutlich werden“. Das wird Waigel wohl nicht erschreckt haben.