Polens LOT ist wieder ins Lot gekommen

■ Reformen lassen die Qualen sozialistischer Flugabenteuer vergessen

Warschau (taz) – Die klapprige Antonow hatte gerade heulend ihre maximale Flughöhe erreicht, die Fluggäste lehnten sich zurück und hielten sich die Ohren zu, um mit dem Druck und dem Lärm der beiden Motoren fertigzuwerden. Währenddessen wankte eine Stewardeß bleich und mit verbissenem Gesicht durch die Sitzreihen, um die Bonbons zu verteilen, die den Imbiß ersetzen sollten.

Im hinteren Teil des Flugzeugs hatten zwei beeindruckend muskulöse Gorillas einer Antiterroreinheit Platz genommen, die von dort aus zwar keinen potentiellen Entführer vom Eintritt ins Cockpit abhalten konnten, aber wenigstens versuchten, mit grimmigen Blicken und dem Zurschaustellen von Rambo-Messern und Colts Eindruck zu machen.

Durch den Lautsprecher, der wegen Tonstörungen und des Heulens der Motoren kaum etwas Verständliches von sich gab, kam die Durchsage des Piloten mit der Bitte, während des Flugs nicht die Sitzplätze zu verlassen: „Zum einen, weil das Bordklo außer Betrieb ist, zum anderen, weil dadurch das Flugzeug aus dem Gleichgewicht kommen könnte.“ Da verstand man plötzlich, warum fromme Polinnen vor dem Abflug die Gewohnheit haben, sich zu bekreuzigen.

Die Sitte, sich vor Reisebeginn zu bekreuzigen, hat sich in Polen gehalten. Alles andere dagegen hat sich radikal geändert. Heute wirbt Polens Fluggesellschaft LOT mit dem Slogan „Wir sind Dein zweites Zuhause“, mit besonders netten Stewardessen und Stewards, mit Billigtarifen, polnischer Küche an Bord und modernen Fliegern. Selbst Binnenflüge werden statt mit sowjetischen Kerosinschluckern mit italienischen ATR-Propellermaschinen absolviert; für den Langstreckenverkehr hat man mehrere Boeings geleast.

An Bord herrscht grundsätzlich Rauchverbot, das Klo ist tatsächlich in Betrieb. Wer als Reisender in Warschau ankommt, erkennt den Flughafen nicht wieder. Die sozialistische Fabrikhalle, die Besucher vor drei Jahren noch empfing, ist einem Gebäude gewichen, das den Vergleich mit einem internationalen Flughafen wie in Wien jederzeit standhält. Statt wie früher eine Dreiviertelstunde dauert die Abfertigung zehn Minuten. Anstelle der Kantine mit derart starkem Durchzug, daß manchmal die Servietten vom Tisch flogen, gibt es jetzt saubere, kleine und garantiert windfeste Cafés.

Der neue Wind der polnischen Fluglinie hat sich bisher auch bezahlt gemacht. Noch 1991 hatte Präsident Lech Walesa mit der Militarisierung des Flughafens drohen müssen, um einen Lotsenstreik zu beenden. Seither ist es jedoch still geworden um die Fluglinie LOT und die Warschauer Flughafengesellschaft. Versuche von British Airways, LOT aus dem für das polnische Unternehmen lebenswichtigen Atlantikgeschäft zu drängen, endeten mit einem Kompromiß.

LOT ist eine der wenigen modernen Fluglinien in Osteuropa, die es geschafft hat, ohne ausländische Kapitalbeteiligung über die Runden zu kommen. Heute hat LOT eine der jüngsten Flotten der Welt. Auch die Bilanzen sind ausgeglichen: 1993 schrieb LOT sogar einen Bilanzgewinn von 20 Millionen Dollar. Seit 1992 hat sich die Zahl der Passagiere annähernd verdoppelt. Selbst Regionalflüge, wie beispielsweise zwischen Posen und Düsseldorf, haben sich als rentabel erwiesen. Im neuen Jahr starten nun auch Flüge zwischen Krakau und Zürich.

Wer trotz allem auf das nostalgischen Flair rüttelnder, verrauchter Klipper mit durchgesessenen Sesseln und barschen Stewardessen, einem zugigen Flughafen mit drohenden Zöllnern und dreistündigen Kofferkontrollen besteht, muß sich nur ein bißchen weiter nach Osten begeben. Sieben 15jährige sowjetische Rostbeulen vom Typ Iljuschin 62 M der polnischen Inlandslinien hat LOT vor drei Jahren an die ukrainische Fluglinie verkauft. Von Kiew aus starten sie nun auf internationale Flüge. Klaus Bachmann