Zensur im Gottesstaat
: Im Irrgarten

■ Der lange Weg eines Buchs im Iran

Iranische Schriftsteller, Dichter und Übersetzer arbeiten unter im Westen nur schwer vorstellbaren Umständen. In diesem Land mit über 60 Millionen Einwohnern, über 15 Millionen Schülern und über einer Million Hochschulabsolventen liegt die durchschnittliche Auflage belletristischer Bücher bei zirka 3.000. Ein Buch von 200 Seiten kostet umgerechnet etwa 12 Mark. Zirka 35 Prozent des Buchpreises erhalten die Buchhändler und Grossisten. Ein Autor oder Übersetzer erhält nach dem Verkauf einer Auflage entsprechend seinem Bekanntheitsgrad zwischen 5 und 15 Prozent des Buchpreises – für ein Buch von 200 Seiten bei einer Auflage von 3.000 also durchschnittlich 3.600 Mark. Vorher muß das Buch allerdings seinen Weg durch den Irrgarten der Zensur finden.

Wer nach der Revolution einen bestehenden Verlag weiterführt oder einen neuen gründen will, benötigt eine Lizenz vom Ministerium für Kultur und Islamische Führung. Der Antrag muß zusammen mit Mietvertrag, der Eigentumsurkunde, dem Gesellschaftervertrag und 13 Fotos der jeweiligen Teilhaber dem Ministerium eingereicht werden. Dem Ministerium sind keine Fristen für die Beantwortung der Anträge gesetzt.

Nach Durchsicht der politischen Akten, Gesinnungsschnüffelei und Nachbarsbefragung werden auf ein Jahr befristete Lizenzen vergeben. Fällt ein Verlag im Sinne des Ministeriums für Kultur und Islamische Führung negativ auf, wird die Lizenz nicht verlängert.

Wenn ein Verlag das Werk eines Schriftstellers oder Dichters oder eine Übersetzung annimmt, beginnt eine Odyssee. Das Werk muß, fertig gesetzt, dem Ministerium für Kultur und Islamische Führung vorgelegt werden. Es kann Monate, aber auch Jahre dauern, bis eine Bewertung erfolgt. Im besten Fall wird eine Grundgenehmigung erteilt. Für jedes Buch wird ein vertraulicher Bericht angefertigt und eine Akte angelegt. Wird ein Buch nicht schlicht abgelehnt, kommt es mit Anmerkungen zurück. Dabei wird mitgeteilt, welche Zeilen oder Seiten beanstandet werden. Es wird aber nie gesagt, warum sie beanstandet werden.

Der Verleger wird dann allein oder zusammen mit dem Autor oder Übersetzer die Gründe herauszufinden suchen. Manche Stellen werden einfach herausgenommen, manche im vermuteten Sinne des Ministeriums umgeschrieben oder abgeschwächt. Es folgt die erneute Vorlage. So kann es mehrmals hin- und hergehen.

Natürlich dürfen Bücher keine Angriffe gegen den Islam und seine religiösen Führer enthalten. Natürlich dürfen keine politisch oppositionellen Meinungen vorgebracht werden. Außerdem dürfen sie keine „Pornographie“ enthalten und nicht gegen die „Islamische Würde“ verstoßen. Aber es kann eben alles mögliche darunterfallen. So ist beispielsweise jegliche Beschreibung des Äußeren einer Frau unstatthaft. Eine Frau darf also nicht dick oder dünn sein, sie darf weder schmale noch volle Lippen haben, denn solche Beschreibungen könnten die Sinne erregen. Ein Mann darf einer Frau nicht nachlaufen, weil das seiner moralischen Würde widerspricht. Ein Mann legt sich nicht zu seiner Frau ins Bett. Er legt sich höchstens „hin“.

Es gibt viele ungeschriebene oder zumindest für die Verleger und Schriftsteller uneinsehbare Kataloge dessen, was nicht sein darf. Am Ende liegt vieles im Ermessen des jeweiligen Gutachters, der den Bericht anfertigt. Jeder Gutachter hat aber wiederum Angst, daß seine Kollegen ihm vorhalten könnten, was er übersehen hat oder gar durchgehen ließ.

Wenn diese Hürde überwunden ist und eine Grundgenehmigung für das Buch erteilt worden ist, setzt der Verlag es auf eine Liste, auf der alle seine druckfertigen Bücher stehen, die eine Grundgenehmigung erhalten haben. Unter dieser Liste führt der Verlag die Papiermenge auf, die für seine geplante Auflage erforderlich ist, und bittet das Ministerium, Papier zum staatlich festgelegten Preis zur Verfügung zu stellen.

Während große Mengen Papier den staatlichen Organen und Ministerien für Propagandazeitungen und -zeitschriften zur Verfügung stehen, müssen Privatverlage meist anders zurechtkommen. Papier auf dem Schwarzmarkt oder sozusagen „freien Markt“ kostet aber das Fünffache des subventionierten. Nach Monaten erteilt das Ministerium seine Genehmigung, oft aber nur für einen Bruchteil der geforderten Papiermenge.

Der Verlag muß sich dann entscheiden, welche Bücher er nun veröffentlichen will. Manchmal entscheidet man sich, die Auflage auf 2.000 oder 1.500 zu beschränken, damit mehrere Titel erscheinen können. Ist dann das jeweilige Buch gedruckt und gebunden, müssen zwei Exemplare davon dem Ministerium vorgelegt werden, damit eine Genehmigung für das Abholen aus der Druckerei erteilt wird.

Obgleich Druckereien nur bereits genehmigte Bücher drucken dürfen, müssen sie über ihre jeweilige Tätigkeit dem Ministerium für Kultur und Islamische Führung Bericht erstatten. Und sie dürfen fertige Bücher erst dann an den Verleger und Auftraggeber herausgeben, wenn wiederum eine entsprechende Genehmigung vorliegt.

Das Ministerium kann diese Genehmigung vorenthalten, verzögern oder an die Bedingung binden, daß zum Beispiel diese und jene Seite geändert wird. Den gebundenen Büchern müssen dann die entsprechenden Seiten entnommen werden. Dann wird die Zensurprozedur wiederholt. Erst wenn die Lizenz für die Herausgabe vorliegt, können die Bücher abgeholt und in den Handel gebracht werden. Findet dann noch jemand etwas Beanstandenswertes und erstattet Anzeige, kann es passieren, daß die Auflage ohne Entgelt eingesammelt und eingestampft wird.

Für jede weitere Auflage wiederholt sich die gesamte Prozedur. Und es gibt viele Bücher, die einmal in der Islamischen Republik Iran erschienen sind, aber keine zweite Auflage erlebt haben. Marc Osman