: „An den Klippen spazierengehen“
Deutsche Juden im Südafrika der Apartheid und des Rassismus / Von Fürth nach Johannesburg – die Autobiographie von Ruth Weiss, bekannte Afrika-Journalistin ■ Von Andrea Seibel
Als sie in Kapstadt die „Tanganyika“ verließen, wartete schon eine Tante: „Ganz nett, gute weiße Haut. Ich werde euch sofort Sommerhüte kaufen, damit ihr nicht braun werdet. Hier schätzt man weiße Haut sehr.“ Das war das erste Erlebnis für die zehnjährige deutsche Jüdin Ruth Weiss, der 1936 samt Familie die Flucht aus Deutschland gerade noch gelungen war. Ihre Kindheit im deutschen Fürth, ihre religiöse Erziehung voller „Wärme, Liebe, Geborgenheit“ läßt sie mit einem nicht minder starken Bild enden: „Ich ging um die Ecke, und da stand er vor mir, mit der Peitsche in der Hand: Julius Streicher.“
Gerade dem Antisemitismus der Nazis entronnen, erlebt die Familie Weiss den Rassismus gegenüber den Schwarzen, dem sich die Familie, fortan als kleine Geschäftsleute in Johannesburg lebend, nicht ergibt. Das Kind der Hausangestellten Jenny wird geherzt und prompt kommt eine Abordnung aus der Nachbarschaft: „Man faßt kein schwarzes Kind an.“ „Was ist das für ein Land?“ fragt der Vater traurig.
Episoden sind die Stärke von Ruth Weiss' Autobiographie „Wege im harten Gras“. Südafrika nimmt dabei den breitesten Raum ein, ein Land, in dem sie sich nie heimisch fühlen konnte, aus dem sie schon seit den 50ern wegwollte, das aber zur Drehscheibe für ihr späteres Leben wird. Ein absurdes Land, wo selbst die Gewerkschafter die rassistische Parole „Workers of the world unite – keep South Africa white“ skandierten.
Die Geborgenheit, die sie als Kind in der jüdischen Kultur erlebte, sucht die Jugendliche in der deutsch-jüdischen Exilgemeinde in Johannesburg. Insgesamt 6.000 deutsche Juden strandeten bis 1936 in Südafrika. Sie trafen sich im Café der Ossietzky-Freundin Gusti Hecht zur Sachertorte oder in der „Unabhängigen Kulturvereinigung“ (UKV). Es waren Künstler, Intellektuelle, Bauhaus- Architekten, viele Berliner, die in dieser „kulturellen Wüste“ aneinander Halt suchten. Hier trifft die junge Weiss den Maler Hanns Ludwig Katz und Frau Ruth, sie lernt Erwin Reissmann kennen, der als Kind noch auf Rosa Luxemburgs Schoß saß, sie liest, diskutiert und gerät in den Bann des Berliner Journalisten Hans Leopold Weiss, ehemaliger politischer Redakteur des „Berliner Tageblatt“ unter dem später im KZ ermordeten Theodor Wolff.
Ruth Weiss gelingt es gerade durch ihr unaufdringliches, ja fast naives Erzählen, diese bisher wenig bekannte Szene der 40er und 50er Jahre zu beschreiben. Ruth Weiss wird Lebensgefährtin und später Angetraute von Weiss, einem manisch-depressiven Fatalisten. Sie ergibt sich ihm, bleibt „graue Maus“ im Hintergrund. „Er füllte mein Leben, glücklich war ich nie.“ Und doch entsteht aus der Unfreiheit im Privaten wie öffentlich etwas Neues, eine neue, eine freiere Ruth Weiss. Mit großer Offenheit spricht Weiss über ihre emotionale Abhängigkeit von Hans Weiss, manchmal ist es fast zuviel der gnadenlosen Intimität. Daß sie gleichzeitig immer arbeitete, ja sogar für Weiss Artikel schrieb, die dieser in deutschen Zeitungen unter seinem Namen veröffentlichte, darauf muß erst Freundin Nadine Gordimer im liebevollen Nachwort verweisen.
Höhepunkt des Buches sind ohne Zweifel die wilden, besinnungslosen 50er Jahre der multikulturellen Partys, wo „Arbeit, Politik und endlose komplizierte Liebesgeschichten“ eine politische Spannung erzeugten, die sich dann in der großen Depression der 60er Jahre entlud: Verhaftung, Gefängnis, Mord, Geheimdienst-Spitzel, Isolation – Apartheid. „Man fand sich umgeben von Feinden, konnte die Freunde nicht mehr erkennen, aus Angst, die Wahrheit zu sagen.“
Für Weiss kommt nun der endgültige Scheideweg. Sie ist, das merkt man dem Ton des Buches an, keiner jener Wundermenschen, die einen Plan haben, die genau wissen, was sie tun und wann. Sie mäandert, braucht lange, um sich vom Ehemann zu trennen. Die zweite Zäsur: Sie wird Journalistin, und zwar Finanz- und Wirtschaftsjournalistin, in einer Männerdomäne und mit einem Thema, nämlich Afrika, das Europa herzlich wenig interessiert. Und: Sie wird mit 42 Jahren Mutter. Fast kommt sie wie die Jungfrau Maria dazu: „,Ihr Sohn‘, sagte der Arzt. Ich blickte verwundert auf seine Hand, in der er etwas hielt. ,Unmöglich‘, sagte ich.“
Doch. Sie arbeitet in Noch-Rhodesien, später auch in Sambia, wo Kenneth Kaunda sie stets „Comrade Ruth“ nennt, wie man das eben so tat unter Gleichgesinnten. Ganze 80 Seiten gelten diesem journalistischen Leben der letzten 25 Jahre, das sie neben der Arbeit für den Guardian in London auch kurz zur Deutschen Welle in Köln kommen läßt. Nur äußerst schwach fällt auch die Kritik an den postkolonialen Machthabern aus. Sei's drum, wahrscheinlich wäre dies wirklich ein anderes Buch. Doch allein um der Alltagsepisoden der 40er und 50er Jahre willen ist dieses Buch ein Genuß. Einmal erlebte sie auch Mandela, in der Küche einer aufgeregten weißen Freundin, die mit dem Untergrund zusammenarbeitete: Da saß er am Küchentisch, „vor sich einen dampfenden Teller. Er lachte uns an. Nelson Mandela.“
Ruth Weiss' Sohn hat nach all dem Hin und Her in Israel seine Heimat gefunden. Und sie? Lebt auf der Isle of Wight vor England, „diesem ruhigen Stückchen Erde ... Hier geht alles etwas langsamer vor sich als in der restlichen Welt, das Leben hinkt etwa eine Generation zurück. Die Menschen sind offen und freundlich, ich kann allein, ohne etwas zu fürchten, längs der Klippen spazierengehen.“
Ruth Weiss: „Wege im harten Gras, Erinnerungen an Deutschland, Südafrika und England“, mit einem Nachwort von Nadine Gordimer, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1994, 303 S., 32 DM-
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