"Jeder, der gesund ist, darf spielen"

■ Zu wenige gute Spieler für zu viele Klubs, faule Wohlstandsjüngelchen und dilettantische Funktionäre: Nach zweinhalb Monaten in der Deutschen Eishockey Liga zieht NHL-Topstürmer Robert Reichel Bilanz

Der DEL-Klub Frankfurt Lions hat vorgesorgt: Sollte gestern abend (nach Redaktionsschluß) die National Hockey League (NHL) ihre Saison endgültig abgesagt haben, ist bereits ein Vertrag unterzeichnet, der den Stürmer Robert Reichel (Calgary Flames) bis Saisonende in Frankfurt hält. Einziger Zusatz: In den Play-Offs würde der 23jährige, der in der vergangenen NHL-Saison bester Torschütze und Assistent seines Teams war, eine zusätzliche Torprämie bekommen. „Wohl dem, der einen Reichel hat“, sagt nicht nur der Kölner Co-Trainer Bernd Haake: der Tscheche erwies sich als eine Klasse für sich und macht in Frankfurt tatsächlich den Unterschied aus. „Das Problem ist“, sagt er nach zweieinhalb Monaten DEL unverblümt über das Niveau des deutschen Eishockeys, „daß jeder immer gleich Tore schießen will, aber eigentlich erst richtig Schlittschuhlaufen lernen müßte.“

taz: Robert Reichel, Sie sind auf die deutschen Schiedsrichter nicht besonders gut zu sprechen.

Robert Reichel: Oje, die sind wirklich schlimm. Das sind absolute Amateure. Die bekommen überhaupt nicht mit, wie schmutzig hier oft gespielt wird. Ich glaube, die wissen manchmal gar nicht, daß es ihre Aufgabe ist, außer Abseits zu pfeifen auch die Spieler zu schützen. Das hat mich hier unangenehm überrascht. Ich war bisher nie verletzt. Seit ich in Frankfurt bin gleich dreimal, und zwar durch Fouls. In Kanada würde keiner einen Kollegen absichtlich verletzen.

Ist wenigstens das Spielniveau besser als die Schiedsrichter?

Mit der NHL ist es nicht vergleichbar. In Deutschland gibt es höchstens vier bis fünf Teams, die halbwegs ausgeglichen besetzt sind. Alle anderen leben von zwei, drei guten Spielern, die die ganze Verantwortung tragen müssen. Jeder, der gesund ist, darf spielen. Das ist schlecht für die Konkurrenz untereinander, denn es gibt einfach zu wenige gute Spieler für so viele Mannschaften. Ich glaube, es wäre besser, wenn in der DEL weniger Teams spielen würden.

Ärgern Sie sich, wenn in der eigenen Mannschaft minderbemittelte Spieler das Spiel stören?

Vielleicht im ersten Moment. Andererseits macht jeder Fehler. Viel mehr ärgern mich Leute, die im Training Weltmeister sind, sich aber im Spiel verstecken. Für die Mannschaft zu kämpfen ist eine Sache des Herzens.

Sie haben einmal gesagt, daß die Spieler hier zu viel Demokratie hätten. Wie meinen Sie das?

Das ist vielleicht ein bißchen falsch verstanden worden. Ich wollte damit nur sagen, daß ich manchmal den Eindruck habe, daß einige ihren Beruf mit einem Hobby verwechseln. Die beschweren sich schon, wenn sie zweimal am Tag zum Training müssen. Dabei haben die Spieler hier doch sowieso ständig frei. Mal zwei Tage an Weihnachten, dann schon wieder drei an Silvester. So was gibt es während der Saison in der NHL nicht. Schließlich sind wir Profis und verdienen gutes Geld.

Das klingt so, als ob Sie das deutsche Eishockey für nicht besonders professionell halten?

Ja, da hapert's noch an einigem. Unter den Verantwortlichen gibt es leider zu wenige, die wirklich Ahnung vom Eishockey haben. Statt dessen sehe ich viele Funktionäre, die eigentlich überhaupt nichts machen. Viel sinnvoller wäre es, im Umfeld der Mannschaft mehr Leute einzusetzen, um dem Trainer die Arbeit zu erleichtern.

Stichwort Trainer. Wie kommen Sie als Tscheche mit dem Russen Pjotr Worobjew zurecht?

Ich hatte bisher noch keinen russischen Trainer, aber wir haben früher nach ähnlichen Methoden trainiert. Er ist kein schlechter Coach. Vor allem kann er den jungen Spielern viel beibringen, auch wenn die manchmal schimpfen. Das Problem ist, daß jeder immer gleich Tore schießen will, aber eigentlich erst richtig Schlittschuhlaufen lernen müßte. Und das paßt einigen nicht.

Wer die Spiele der Frankfurter Löwen genau beobachtet, stellt fest, daß Sie und Jiri Lala das Signal zum Auswechseln oft ignorieren und einfach weiterspielen. Paßt das dem Trainer?

Na ja, wir wollen schließlich gewinnen. Wenn ich noch genug Luft und das Gefühl habe, gleich ein Tor zu schießen, bleibe ich eben ein bißchen länger auf dem Eis.

Sie und Lala sind nicht nur auf dem Eis, sondern auch privat oft zusammen.

Wir haben zum Beispiel Weihnachten zusammen gefeiert. Das ist überhaupt eine neue Erfahrung für mich, daß die Spieler hier auch nach dem Spiel noch zusammensind. In Kanada macht jeder seinen Job und geht nach Hause.

Also hat das Gastspiel hier auch seine angenehmen Seiten?

Sicher, obwohl ich als Profi mit allem zurechtkommen muß. Aber es macht natürlich Spaß, mit netten Leuten zusammenzusein. Frankfurt ist eine gemütliche Stadt, doch Calgary hat auch seine schönen Seiten. Nach meiner Karriere als Spieler, so in fünf, sechs Jahren, werde ich vielleicht in Kanada bleiben.

Sie wollen schon mit 29 Jahren aufhören?

Eishockey ist ein harter Job, der den Körper extrem beansprucht. Da weiß man nie, wie lange das gutgeht. Schließlich bin ich schon in meiner achten Profi-Saison. Und durchschnittlich hält man das selten mehr als 14 Jahre aus. Interview: Matthias Kittmann