Schriften zu Zeitschriften
: Kinderläden, Knast und C-Klasse

■ „regina“ durchläuft die Biographie der Künstlerin Regina Möller

Auf dem Cover schaut ein Model mit kullernden Augen, streng nach hinten gekämmtem Haar und skeptisch verzogenen Mundwinkeln zum Blattnamen hinauf: regina annonciert auf dem Titelbild Mode, Familie, Kultur, Katzen, Comics, Reisen und Wohnen. Das Blatt ist mit der ISSN-Kennummer des Zeitschriftenhandels gekennzeichnet, hat aber für das Marktsegment „Frauenmagazine“ den stolzen Verkaufspreis von 39 Mark. Im „g“ von regina steht als Untertitel Reproduktion, ansonsten findet sich keine weitere Heftbeschreibung.

Auf Seite 35 sieht man ein Bild aus einem Spielzeugkatalog: Ein kleines Mädchen mit Flechtkorb steht vor der Kaufladentheke – dahinter sitzt ein Junge und telefoniert. Die Rollen im Geschlechterverhältnis scheinen eindeutig verteilt: Hausfrauen stehen mit dem Einkaufszettel vor den Waren, während der Verkaufsleiter mit Blick auf seine Kasse den Nachschub ordert. Außer Obst und Gemüse finden sich augenfällig viele Besen im Angebot. Das Werbefoto stammt aus den späten Sixties – und Kinderläden hatten damals auch noch eine ganz andere Bedeutung. Im Heftinneren sieht man das gleiche Mädchen noch auf einem Fahrrad neben Roy Black, hinter verregneten Fensterscheiben und mit schleifchengebundenem Pferdeschwanz an einer Plastiknähmaschine.

Die Kindfrau von einst prangt jetzt auf dem Cover von regina. Herausgeberin Regina Möller steht mit ihrem Namen und als Cover-Model selbst für ihr Programm – im Unterschied zu den mehr oder minder anonymen Redaktionen von Brigitte, Carina, Sibylle, Petra oder Max. Die Zeitschrift ist kein Kioskartikel, sondern wird über Galerien, Künstlerhäuser und Kunstmessen vertrieben. Und weder die Heftproduzentin noch ihre MitarbeiterInnen sind professionelle JournalistInnen, geschweige denn VerlagsmanagerInnen.

Mit der Nullnummer von regina lanciert die Künstlerin Regina Möller vielmehr eine Publikation, die statt eines Kunstkatalogs Arbeiten in Text und Bild reproduziert. Doch im Unterschied zum klassischen Werkkatalog finden sich hier Aufsätze über Aids und ModeproduzentInnen, Innenarchitektur, Rezepte, ein Porträt der Ost-Frauenzeitschrift Sibylle oder eine detaillierte Reportage über vietnamesische Prostituierte. In zwei wiederentdeckenswerten Reprints beschreibt die Architektin Denise Scott Brown ihre komplizierte Lebens- und Arbeitsgemeinschaft mit Robert Venturi, und Alice Schwarzer interviewt Renate Riemeck, die als vehemente Bürgerrechtlerin und „soziale Mutter“ von Ulrike Meinhof bekannt wurde.

Letzteres ist in der Rubrik „Familie“ zu finden, so wie unter „Wohnen“ das Thema Isolationshaft aufgegriffen wird. In regina sind die klassischen Genres einer „Modezeitschrift“ mit den darin sonst ausgeklammerten Nachrichten aufgemischt. Unter der bewußt für Frauenmagazine nutzbaren Headline „Brot backen, Marmelade einkochen“ druckt Regina Möller Zitate aus dem RAF- und Knastalltag Birgit Hogefelds, wobei diese Headline Notizen entstammt, die die Polizei bei ihrer Festnahme in Bad Kleinen fand. Darin beschrieb Hogefeld bürgerliche Momente aus ihrem Alltag, um so das Bild der ausschließlich vom Staat gejagten Person zu brechen. Aus diesen Textbrocken ein Plädoyer für Widerstand nach Feierabend abzuleiten, wäre ein Fehlschluß, auch wenn ihn der Kontext des Heftes nahelegt. Denn strategisch bewegt sich regina zwischen Affirmation und dem Einschleusen von Fremdpartikeln.

Das ganze Heft wird zur künstlerischen Arbeit, die den corporate chic in der Kunst der achtziger Jahre weitertreibt: nämlich mittels fiktiver Firmengründungen das Rollenbild der KünstlerInnen umzudefinieren. Ihr Subjekt-Design ist strategisch und ironisch; zugleich bestärkt Regina Möller durch auf sich selbst bezogene Themen – etwa ein Gespräch zwischen ihr und ihrer Mutter oder dem Eltern-Fotografen Heinz Rauner über ihre Zeit als Kindermodel – den KünstlerInnen-Personenkult.

Die Attraktivität des Zeitschriftenprojekts liegt sicher auch in seinen Widersprüchen. So erfährt man aus einem Gespräch mit Renate Riemeck, daß Kindheit im Hause Meinhof nach ganz anderen Mustern ablief als im Hause Möller. Etwa wenn Ulrike Meinhofs Zwillinge Weihnachten 1976 laut Ho-Ho-Ho-Chi-Minh schreiend durchs Zimmer tobten – fast zeitgleich hatte die kleine Regina ihre Modellsitzungen. Trotz der Sympathie-Bekundungen gegenüber Birgit Hogefeld, Renate Riemeck oder Ulrike Meinhof stellt die Regina Möller von heute ihren eigenen Mittelschicht-Kontext weniger in Frage, als daß sie ihn reproduziert.

Dabei werden neben einer Produktwerbung in eigener Sache (Regina Möllers Galerist annonciert für eine von ihr konzipierte Katzenbaumskulptur) auch Anzeigen für den Mercedes-Benz der C-Klasse in Kauf genommen. Die mit regina angestrebte Umdefinition einer „Frauenzeitschrift“ füllt das Format neu; der hierdurch augenscheinlich gewordene Konflikt, einen RAF-Artikel mit einer Mercedes-Anzeige stützen zu müssen (oder umgekehrt), erfordert andere Konsequenzen. Jochen Becker

Die Nullnummer von „regina“ kann man über das Künstlerhaus Stuttgart ordern: Tel. 0711/ 617 652; Fax 0711/ 613 165. Weitere Ausgaben sollen folgen.