■ Gestern wurde in Kairo eine Islamisten-Gruppe verurteilt, die versucht hatte, den 83jährigen Schriftsteller Nagib Machfus zu erstechen. Kurz vorher fiel ein ganz anderes Urteil: gegen Filmemacher ...
: Nein zum Kino und zum Lächeln

Gestern wurde in Kairo eine Islamisten-Gruppe verurteilt, die versucht hatte, den 83jährigen Schriftsteller Nagib Machfus zu erstechen. Kurz vorher fiel ein ganz anderes Urteil: gegen Filmemacher Youssef Chahine Aus Kairo Karim El-Gawhary

Nein zum Kino und zum Lächeln

Zwei Ereignisse, die den Eiertanz des ägyptischen Staates deutlich machen: das gestrige scharfe Urteil gegen die Machfus-Attentäter, und ein anderes Urteil, etwas älter, das den neuen Film des bekannten Filmemachers Youssef Chahine mit religiösen Argumenten verbot. Die beiden Ereignisse werfen ein Licht auf das Verhältnis von Staat und Islamismus in Ägypten und auf die Bedingungen, unter denen Intellektuelle in Ägypten heute arbeiten müssen.

Ein Stich mit dem Messer in den Hals

Zweimal Tod durch den Strang, elfmal zwischen drei Jahren und lebenslänglich Zuchthaus und dreimal Freispruch, so lautete das Verdikt des obersten ägyptischen Militärgerichts im Machfus-Fall. Alle Verurteilten sollen Mitglieder der gamaat al-islamyia – einer militant islamistischen Organisation sein. Auch international soll deutlich werden, daß im Land am Nil hart durchgegriffen wird.

Den Verurteilten wird vorgeworfen, letzten Oktober an einem Mordversuch an dem 83jährigen Schriftsteller Nagib Machfus beteiligt gewesen zu sein. Sie hatten ihm vor seiner Haustür aufgelauert und ihn durch einen Stich mit einem Messer in den Hals lebensgefährlich verletzt. Die gamaat al-islamiya erklärte sich verantwortlich. Machfus hat den Anschlag mit knapper Not überlebt und durfte Anfang Dezember das Krankenhaus verlassen.

Der Schriftsteller stand schon seit Jahren auf den Todeslisten der militanten Islamisten. Sein vor 30 Jahren geschriebenes Buch „Die Kinder in unserer Gasse“ machte ihn für die Islamisten zur Persona non grata. In dem Epos beschreibt er die Entwicklung der Menschheit, von der Erschaffung über die Propheten bis in heutige Zeit. Symbolisch läßt er die ganze Geschichte der Menschheit in einer kleinen Gasse in der Altstadt Kairos abspielen.

„Blasphemisch“, sagte schon vor dreißig Jahren die islamische Azhar-Universität, eine der höchsten Rechtsautoritäten im sunnitischen Islam. Machfus' symbolischer Roman war zu nahe an die koranische Offenbarungsgeschichte geraten. Allegorien mit Propheten seien haram, nach dem islamischen Recht verboten. Mit den jetzigen Urteilen haben die ägyptischen Gerichte den militanten Islamisten eine deutliche Absage erteilt.

Ganz anders im Falle des prominenten ägyptischen Filmemachers Youssef Chahine. Sein neuster Film, „Der Emigrant“, hatte sich Ende letzten Jahres in den ägyptischen Kinos zum absoluten Kassenschlager entwickelt. Eine halbe Million Menschen waren in den ersten sieben Wochen in die Kinos von Kairo und Alexandria geströmt. Da setzte ein ägyptisches Gericht dem Film am 29. Dezember ein jähes Ende. Alle Kopien des Films seien zu konfiszieren, jegliche Verbreitung durch Videokassetten und der Export sind verboten.

Der Grund: Auch Chahine hatte sich wie Machfus vor 30 Jahren einer religiösen Allegorie bedient. Die Geschichte des Filmes gleicht der Geschichte des biblischen Josef, der unter den Muslimen als einer der Propheten angesehen wird. Und es war wieder die islamische Azhar-Universität, die mit einem Gutachten das vorläufige Schicksal des Filmes besiegelte. „Der Film erzählt die Geschichte Josefs und beinhaltet Szenen, die das islamische Recht und traditionelle Werte verletzen“, heißt es dort. Das Gutachten war von Mahmud Abu Al-Faid, einem bisher nicht in Erscheinung getretenen islamistischen Anwalt, angefordert worden. Er hatte Ende letzten Jahres das Verfahren gegen den Filmemacher angestrengt.

Der Anwalt konnte sich der Unterstützung der ehrenwerten islamischen Institution sicher sein. Bereits vor zwölf Jahren hatte die Azhar eine Fatwa, ein religiöses Rechtsgutachten, erlassen, in der sie das Abbilden von Propheten in Kino, Fernsehen oder Theater islamisch untersagt.

Der Anwalt holte noch weiter aus. Der Film zeige nicht nur den Propheten Josef, er stehe für die „Normalisierung mit dem zionistischen Staat“ und diffamiere Ägypter als unterwürfig und sexuell impotent. Der Richter gab ihm recht. Der Film habe negative Effekte für religiöse Gefühle. Der Josef verkörpernde Schauspieler sei bis auf einen Lendenschurz ganz und gar unbekleidet und als leidenschaftlicher Liebhaber porträtiert, der küßt, umarmt und sich mit der Frau des Armeechefs im Wüstensand wälzt.

Eines der wichtigsten Werke der letzten Zeit

Unter den säkularen ägyptischen Intellektuellen schlagen inzwischen die Wellen der Empörung hoch, und Chahine gilt nicht als jemand, der sich mit derartigen Urteilen abspeisen läßt. Berufung gegen das Urteil ist bereits eingelegt. In mehreren Interviews und Pressekonferenzen hat der prominente Filmemacher eine Gegenkampagne gestartet. Vordergründig leugnet er, daß der Hauptcharakter seines Filmes, Ram, mit Josef identisch sei. Aber eigentlich geht es ihm um mehr. „Ich habe keine Sorge um diesen Film. Angst macht mir vielmehr dieser Trend, der nein zum Kino und zum Lächeln sagt“, ließ er verlauten. „Warum wollen die Leute meine Ansichten konfiszieren?“ Dieser ernstzunehmende Trend versuche die ägyptische Mentalität zu beherrschen, erklärte er in einer eilig abgehaltenen Pressekonferenz in seinem Büro.

Wenn Chahine die Islamisten meint, dann spricht er kurzerhand vom „Trend“. Deutlich auch seine Warnung, an die anderen ägyptischen Künstler, Schriftsteller, Theater- und Filmemacher gewandt: „Wenn dieser Trend es schafft, meine Ideen zu verbannen, dann kann er das auch mit den euren tun.“ Andere ägyptische Intellektuelle geben ihm recht. Als eine der größten Herausforderungen des Jahres 1994, eine qualitative Eskalation gegenüber der Gedankenfreiheit, bezeichnete die Chefredakteurin der Zeitschrift Literaturkritik das Urteil. Selbst der ehemalige Chef der Zensurbehörde, Hamdi Zorur, der nicht zu Chahines engstem Freundeskreis zählen dürfte, solidarisierte sich mit Chahine. Der Film sei „eines der wichtigsten Werke der letzten Zeit“.

Der Filmemacher selbst ließ auch kein gutes Haar an der Regierung. „Anstatt uns zu helfen und uns zu unterstützen, schlägt sie auf uns ein.“ Chahine ist bekannt dafür, daß er nie ein Blatt vor den Mund nimmt. Tatsächlich ist die Doppelmoral des ägyptischen Staates gegenüber den islamistischen Zensoren auffällig: einerseits scharfe Repression, andererseits Konzessionen.

Was unterscheidet eine Allegorie von der Realität?

Die Regierung hat es schwer, sich ohne große Legitimitätsgrundlage gegen die stärkste Opposition im Land durchzusetzen. Ohnehin sind die staatlichen Institutionen inzwischen oft von Menschen besetzt, die so denken wie der Vorsitzende Richter im Fall Chahine. So passiert es schon einmal, daß Nagib Machfus zum Helden und Youssef Chahine zum bösen Buben abgestempelt wird.

Eigentlich, so der Linguistikprofessor Nasr Hamid Abu Zeid, der selbst wegen einiger Veröffentlichungen und Koraninterpretationen ganz oben auf der Todesliste der militanten Islamisten steht, gehe es hier nicht darum, ob ein Buch oder ein Film veröffentlicht wird. Das Problem beginne viel früher. Den Menschen müsse zunächst einmal erklärt werden, was eine Allegorie von der Realität unterscheide.

Nur das völlig verrottete Erziehungssystem, das Millionen von Analphabeten und Halbgebildeten hervorbringt, macht es möglich, daß der dogmatische Teil der Islamisten seine Gehirnwäsche in Sachen Kultur und Zensur so erfolgreich durchsetzen kann. Doch reichen die Kreise, die an diesem Zustand Interesse haben, womöglich weit über die islamistischen Kulturwächter hinaus.

Machfus hat es gerade noch überlebt. Hoffen wir, daß Youssef Chahine es auch überlebt. Denn: Was ein Gerichtsbeschluß nicht zustande bringt, wird am Ende womöglich mit Gewalt durchgesetzt.