Trommelfeuer in der Feuerpause

■ Waffenstillstand in Grosny nach zwei Stunden gebrochen / Vermittlung Kowaljows gescheitert / Russische Omon-Sondereinheit desertiert

Moskau/Grosny (AFP/dpa/taz) – Genau einen Monat dauert der Krieg in Tschetschenien inzwischen – doch die russische Führung zeigt keine Bereitschaft zum Einlenken. So wird aus einer gestern veröffentlichten Erklärung deutlich, daß Moskau an seiner offiziellen Begründung für den Einmarsch am 11. Dezember uneingeschränkt festhält. „Ungesetzliche bewaffnete Banden“, heißt es dort, „würden das verbrecherische Regime des Diktators Dudajew schützen.“ Der am Montag abend von Moskau verkündete zweitägige Waffenstillstand sei daher „ein weiterer Schritt des guten Willens der russischen Führung“, die tschetschenischen Kämpfer „zur Vernunft“ zu bringen.

Die von den russischen Angreifern angebotene Feuerpause dauerte indes nicht einmal zwei Stunden. Beobachter vor Ort berichteten, um 9.30 Uhr habe russische Artillerie erneut den Präsidentenpalast in Grosny beschossen. Alle 30 Sekunden schlage ein Geschoß ein. Moskau erklärte, die Tschetschenen hätten den Beschuß der russischen Truppen fortgesetzt.

Tatsächlich zielt das „Angebot“ für einen Waffenstillstand auf eine Kapitulation der Tschetschenen. Denjenigen, die ihre Waffen niederlegen, werden freies Geleit und eine Amnestie garantiert. Das Moskauer Angebot sei Ausdruck der „Hoffnung der progressiven und demokratischen Kräfte des Landes, aller Russen und vor allem aller Mütter, Väter und Verwandten der Soldaten, die heute auf tschetschenischem Boden ihre verfassungsmäßige Pflicht erfüllen, indem sie die Einheit des russischen Staates sichern“. Die bedingungslose Erfüllung des Waffenstillstands sei die „letzte Chance für Dudajew und seine Umgebung“. Im Klartext: Moskau gibt Grosny die Chance, die Herrschaft Rußlands über das eigene Territorium freiwillig anzuerkennen.

Gegen die Formulierungen der Regierungserklärung protestierte denn auch der als Vermittler nach Grosny gereiste russische Bürgerrechtler Sergej Kowaljow. Der Text der Verfügung habe einen völlig anderen Inhalt, als zuvor vom russischen Regierungschef Tschernomyrdin mit ihm abgestimmt. Kowaljow wörtlich: „Ein weiteres Mal wird den tschetschenischen Verbänden vorgeschlagen, die Waffen niederzulegen. Über die Verwundeten und Getöteten kein Wort.“ Bei seinen Gesprächen sollte es in erster Linie um die Möglichkeit gehen, Verwundete und Gefallene aus den umkämpften Teilen Grosnys herauszubringen. Danach, so Kowaljow unter Berufung auf Tschernomyrdin, hätten dann Verhandlungen über die Beendigung des Krieges beginnen sollen.

Unterdessen wurde bekannt, daß eine Einheit der Sondertruppen des russischen Innenministeriums, Omon, ohne Befehl aus Tschetschenien abgezogen und an ihren heimatlichen Stationierungsort zurückgekehrt ist. Der Omon-Kommandant teilte mit, seine Einheit sei im Unterschied zu den gegenüberstehenden tschetschenischen Truppen nur leicht bewaffnet gewesen. Es ist die erste Desertion von Omon- Truppen in Tschetschenien. Sie waren dorthin beordert worden, um die demoralisierten russischen Kampfverbände zu überwachen. her Seiten 8 und 10