Arbeitgebermethoden

■ betr.: „Trittbrettfahrer abstei gen!“, taz vom 3. 1. 95

Als langjähriger Trittbrettfahrer war mein Problem immer, daß ich sehr wohl die Wichtigkeit einer Gewerkschaft erkannt habe, niemals aber ihre tägliche Betriebspolitik unterstützen konnte. Die Gewerkschaft habe ich erlebt als Abteilung der Arbeitgeber, die durch Scheinkämpfe und Ablenkungsmanöver immer wieder mitgeholfen hat, eine Arbeitsorganisation aufzubauen, in der der Arbeiter selber immer weniger zu sagen hatte. Das lag meiner Ansicht nach auch ganz im Sinne der Gewerkschaft, die einen strikten hierarchischen Aufbau aufweist, mitsamt der dazugehörigen Entrüstung, falls ein Arbeitnehmer es sich erlaubte, selber zu entscheiden, was in dem Betrieb nicht stimmte. Worüber man sich aufzuregen hat, wird von oben herab verordnet.

In einem Betrieb wird immer eine aktive Politik betrieben, die darauf zielt, Machtpositionen zu stärken und auszubauen auf Kosten der Rechte der Arbeitnehmer. Die Gewerkschaft wirkt mit, um eine Belegschaft zurückzubiegen, die alles mit sich machen läßt und gleichzeitig Gott im Himmel dankt, daß es die Gewerkschaft gibt, weil sie sonst keine Rechte hätte. [...] Jim Tenerowicz, Berlin

Die Arbeitgeber, allen voran die Herren Murmann und Stihl, setzen alles daran, erkämpfte tarifliche und andere Rechte der Arbeitnehmer zu beschneiden. Eine gewerkschaftliche Organisierung möglichst vieler lohnabhängiger Menschen ist enorm wichtig, um diese Rechte zu verteidigen. Doch die Initiative des Hamburger ÖTV- Chefs Fritsch zielt nicht nur in die falsche Richtung, sie ist ein beredtes Zeugnis der Existenzängste der DAG- und DGB-Gewerkschaften. Aufgrund ihrer immer deutlicher werdenden Schwäche erscheint ihnen dieser vergleichsweise unpopuläre Vorstoß als das kleinere Übel: Den Gewerkschaften laufen die Mitglieder in Massen davon.

Die Gründe dafür sind benennbar: Während die Unternehmer seit 1980 beständig gute Profite machen, sank der Anteil der Löhne und Gehälter im Volkseinkommen rapide. Sämtliche Tarifabschlüsse der letzten beiden Jahre, auch schon vor der konjunkturellen Abschwächung, bescherten den Arbeitnehmern Reallohnverluste.

Während neue Verwaltungspaläste gebaut wurden, flossen pro Mitgliedsbeitrag nur 25 Pfennig in die Streikkassen. So waren überwiegend nur „Warnstreiks“ möglich, die alles andere als effiziente Kampfmaßnahmen waren. Der aufgeblähte Funktionsapparat hat sich zunehmend von der Basis entfernt, die zu einem ausführenden Anhängsel der Gewerkschaftsspitze wurde.

Die Mitglieder sind derart „wichtig“, daß zum Beispiel beim ÖTV-Streik 1992 deren durch Urabstimmung demokratisch entschiedene Ablehnung des Schlichtungsvorschlages einfach von Wulff-Matthies u.a. ignoriert wurde. Die ÖTV-Führung akzeptierte das Ergebnis entgegen dem Votum der Streikenden und bewies damit mehr Sorge um das Wohlergehen der Arbeitgeber als um das der Arbeitnehmer.

Die Mitglieder sind „wichtig“, wenn es um das Beitragszahlen und um imposante Mitgliedszahlen geht, die als Existenzlegitimation und Absicherung der Funktionäre herhalten müssen. Die DAG- und DGB-Gewerkschaften haben der Manifestierung der Zweidrittelgesellschaft tatenlos zugesehen. Der dringend nötige ökologische Wirtschaftsumbau steht nicht auf der Tagesordnung. Weder gegenüber der rassistischen Hetze der letzten Jahre noch zur weiterhin gravierenden gesellschaftlichen und beruflichen Benachteiligung von Frauen haben die Gewerkschaften ihrer Verantwortung und Pflicht gemäß gehandelt.

Viele kritische Menschen und Gewerkschafter sind aufgrund dieser Entwicklung ausgetreten oder gar nicht erst eingetreten, weil sie sich nicht (mehr) vertreten fühlen. Daß Herr Fritsch eben auch diese als Trittbrettfahrer und Außenseiter beleidigt, ist nicht nur eine Frechheit, sondern berechtigt zur Frage, wie demokratisch DAG und DGB überhaupt noch sind. Nichtorganisierte generell von bestimmten Tarifleistungen auszuschließen erinnert eher an Arbeitgebermethoden: „Bist du nicht willig...“

Hier gilt es, entschieden entgegenzutreten und das Monopol der DAG- und DGB-Gewerkschaften auf gewerkschaftliche Vertretung der Arbeitnehmer aufzubrechen. Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft und läßt die Möglichkeit zu wählen, wer die eigenen Interessen wohl am besten vertritt. Kleine, vor allem basisbezogene und -verbundene Gewerkschaftsverbände und -initiativen, das können auch Belegschaften sein, die untereinander vernetzt sind, aber eigene ortsspezifische Haustarife aushandeln können, müssen hier an Bedeutung gewinnen und „tariffähig“ werden. So wissen auch die Arbeitgeber immer ganz genau, mit wem sie es zu tun haben.

Sogenannte „Trittbrettfahrer und Außenseiter“ wird es erst dann nicht mehr viele geben, denn dann sind ihre gewählte Vertretung die eigenen Kollegen und Kolleginnen. Erst dann kann durch Auseinandersetzung und Überzeugungsarbeit, vor allem aber auch durch basisdemokratische Strukturen, wieder eine gerade in diesen Zeiten so wichtige kämpferische Gewerkschaftsbewegung entstehen. Freie ArbeiterInnen Union,

Anarcho-Syndikalisten,

Ortsgruppe Hannover