Rechtsextremismus an Bremer Schulen

■ Eine Umfrage bei etwa 1.700 SchülerInnen in Bremen-Nord setzt alarmierende Zeichen.

„Es gibt Barbarei in unserer Zivilisation.“ Wenn Herbert Wulfe-kuhl, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung, diese Feststellung trifft, dann meint er mit „Barbarei“ primär Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit, mit „Zivilisation“ durchaus auch Bremen. Bestätigt wird er durch das gestern präsentierte Ergebnis einer Befragung Bremer SchülerInnen nach ihrer Einstellung zu Rechtsextremismus und Ausländerhaß.

Zwei Schulen in Bremen-Nord, das Schulzentrum Helsinkistraße und das In den Sandwehen, beteiligten sich an dem Projekt, das von der Landeszentrale initiiert und vom Statistischen Landesamt mitbetreut wurde. AbsolventInnen der 7.-10. Klasse legten im März/April 93 ihren MitschülerInnen im Alter zwischen 12 und 18 Jahren eigenständig erarbeitete Fragebögen. Die meisten, nämlich 1036, kamen ausgefüllt zurück.

Um Vergleichsdaten zu erhalten, wurde das Projekt später um die Antworten von 616 SchülerInnen aus dem Schulzentrum an der Ronzelenstraße in Bremen-Horn und aus der Humboldtschule in Bremerhaven erweitert. Diese Bildungseinrichtungen liegen in gutsituierten bürgerlichen Stadtteilen, während die Helsinkistraße und Sandwehen soziale Brennpunkte sind, die ein in Bremen überdurchschnittliches Wählerpotential für rechtsextremistische Parteien aufweisen.

Obgleich, wie das Landesamt einschränkt, die Umfrage aufgrund mangelnder statistischer Standards nicht repräsentativ ist, fördert sie „kritische Aspekte zutage“: Stärker als erwartet, zeige sich ein Zusammenhang zwischen der Schulgattung und den „freundschaftlichen Beziehungen zu einem oder mehreren AusländerInnen“. Während bei Haupt- und RealschülerInnen der Anteil der Befragten mit mehreren AusländerInnen im Bekanntenkreis bei über 50 Prozent lag, waren es bei den GymnasiastInnen nur 35 Prozent . Für mehr als ein Drittel der HauptschülerInnen sind jedoch dauerhafte persönliche Beziehungen mit AusländerInnen unvorstellbar, während GymnasiastInnen nur zu 14,9 Prozent ablehnen.

Eine der Kernfragen des Projektes bezog sich auf die grundsätzliche Haltung gegenüber AusländerInnen. Die Antworten der SchülerInnen schockieren: „Rund 13,2 Prozent der Antworten entfällt auf ablehnende, besorgte, bis hin zu offensichtlich rassistischen Positionen, wobei die Vorbehalte sich in der Reihenfolge der Häufigkeit nach an der Sorge um Arbeitsplätze, der Wohlstandsminderung, der Kriminalität und schließlich rassistischer Gründe kristallisieren.“ Diese Positionen tauchen deutlich häufiger bei HauptschülerInnen als bei GymnasiastInnen auf und doppelt so oft bei Jungen wie bei Mädchen.

Jeder sechste Jugendliche hat Vorbehalte gegenüber AusländerInnen. Diese Zahl korreliert mit jenen 15 Prozent der Befragten, die gegenüber Rechtsextremen zustimmende Positionen geltend machen. Signifikant mehr männliche als weibliche Jugendliche bejahen den Rechtsextremismus. Ein deutlicher Unterschied auch beim Schulniveau: Der Anteil rechtsextremer Positionen bejahender HauptschülerInnen liegt bei 25 Prozent und entspricht damit etwa dem Stimmanteil rechtsextremer Parteien bei Jungwählern in benachteiligten Gebieten bei der Bürgerschaftswahl 1991. Bei den GymnasiastInnen sind dies nicht einmal Prozent, bei den RealschülerInnen 15,1 Prozent.

Die Einstellung zur Gewalt allgeim läßt sich nur schwerlich interpretieren, räumen die BetreuerInnen des Projektes ein. Und doch sei alarmierend, wenn zwar mehr als die Hälfte der SchülerInnen angab, Gewalt nur in Notwehrsituationen anzuwenden, doch neben ihnen „die immer schon auffälligen 3 Prozent “ signalisierten , unmittelbar Gewalt anzuwenden, wenn ihnen jemand dumm käme.“ Lediglich 10 Prozent der Befragten sprachen sich gegen jegliche Form von Gewalt aus. Hier ergab sich bemerkenswerterweise kein Unterschied zwischen den Bildungstypen.

Im Vergleich zwischen den Schulen in sozial schwachen und denen in gutsituierten Wohngebieten fällt auf, daß erstere eine deutlich schlechtere Meinung von AusländerInnen und eine größere Affinität zum Rechtsextremismus haben. Diese scheint allerdings selten in Gewalttaten aufzugehen: Nach dem Verfassungsschutzbericht liegt Bremen wie in den Jahren zuvor „am Ende der bundesrepublikanischen Gewaltstatistik“. Von 1994 insgesamt 1.300 registrierten Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund wurden in Bremen lediglich 2 Taten erfaßt.

Wie sich dies angesichts der Umfrage erklärt, weiß weder der Leiter des Statistischen Landesamtes noch der der Landeszentrale für politische Bildung. Wulfekuhl vermutet in Bremen eine traditionelle Widerstandshaltung. „Bremen ist von einer geheimnisvollen pietistisch-calvinistischen Ethik geprägt,“ schon Hitler habe hier keinen Fuß an die Erde gekriegt. Kein Grund, sich darauf zu verlassen, im Gegenteil: „Es ist die Pflicht jedes republikanisch gesinnten Demokraten, einen Beitrag zur Einhegung des offenkundig unaufhörlichen Wahns zu leisten.“ dah