Die Plage reicher Freunde

Nach der Börsenkrise in Mexiko wehren sich Brasilien und Argentinien gegen die Gleichsetzung mit dem mittelamerikanischen Land  ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange

Eine gewisse Häme können sich die Nachbarn nicht verkneifen. Innerhalb von nur zwei Wochen, seit dem Börsenkrach am 20. Dezember, verwandelte sich Mexiko in den Augen ausländischer Investoren vom Lieblingskind Lateinamerikas zum Enfant terrible. „Mexiko muß lernen, daß ausländische Freunde mit viel Geld nicht immer hilfreich sind“, höhnt die brasilianische Wirtschaftszeitung Gazeta Mercantil.

Insbesondere Brasilien galt bis zur Wahl des neuen Staatsoberhauptes Fernando Henrique Cardoso im Oktober letzten Jahres als Schandfleck Lateinamerikas. Während Mexiko jährlich mit Auslandsinvestitionen in Höhe von acht Milliarden Dollar aufwarten konnte, zog das tropische Riesenreich nach Angaben der Weltbank im vergangenen Jahr gerade 600 Millionen Dollar Auslandskapital an. Das Wirtschaftsmodell Brasiliens, das sein internes Haushaltsdefizit mit astronomischen Inflationsraten zu finanzieren pflegte und die Auslandsschulden mit Hilfe von saftigen Handelsbilanzüberschüssen abstotterte, galt als hoffnungslos überholt.

Nach sieben Jahren neoliberalen Herumexperimentierens ist nun auch die mexikanische Gegenvariante gescheitert. Zwar trugen die radikale Marktöffnung und die Überbewertung des Peso erfolgreich zur Bekämpfung der Inflation bei. Und zusammen mit dem Ausverkauf der Staatsbetriebe verhalf der Abbau der Zollschranken der mexikanischen Regierung zu zusätzlichen Einnahmen und beeindruckenden ausländischen Investitionen, mit denen sie dem Schuldendienst nachkam. Auf der anderen Seite jedoch führte die Marktöffnung und die Überbewertung des Peso zu einem Importschub, der die nationale Industrie lahmlegte.

Der Zusammenbruch des neoliberalen Kartenhauses in Mexiko dient Brasilien als Lehre. „Die Wirtschaft des Landes wird von der internationalen Konkurrenz zu stark unter Druck gesetzt“, warnt Claudio Frischtak, ehemaliger Ratgeber der Weltbank für Industriepolitik. Die ausländischen Produkte seien nicht nur durch den Abbau der Exportschranken, sondern zusätzlich durch die Überbewertung der Landeswährung Real billiger als die heimischen Erzeugnisse. Frischtak läßt die neoliberalen Argumente der brasilianischen Regierung nicht gelten, wonach nur die Konkurrenz die nationale Industrie zu mehr Wettbewerbsfähigkeit zwingt: „Auch die Wirtschaftsriesen im Norden verfügen über schützende Mechanismen ihrer heimischen Industrien.“

Wirtschaftswissenschaftler Alfonso Celso Pastore gehört ebenfalls zu den Kritikern der brasilianischen Regierung, die mit massiven Importen der Inflation entgegensteuern will: „Die mexikanische Krise beweist, daß defizitäre Handels- und Haushaltsbilanzen nicht mit Hilfe von Auslandskapital frisiert werden können, sondern sehr wohl ein Grund zur Sorge sind“, meint der Ex-Direktor der brasilianischen Zentralbank. Pastore verweist auf die asiatischen Tiger, die ihre Wirtschaften mit strukturellen Reformen im Steuer- und Finanzbereich, massiven Investitionen im Bildungssektor und der Förderung von Export sanierten. Brasiliens Finanzminister Pedro Malan wird nicht müde zu betonen, daß es sich bei Brasilien und Mexiko um zwei verschiedene Länder handelt. Im Gegensatz zu Mexiko verfüge Brasilien über Auslandsreserven von 43 Milliarden Dollar und über eine positive Handelsbilanz.

Auch in Argentinien ist die mexikanische Krise ein wichtiges Thema. Wirtschaftsminister Domingo Cavallo reiste hastig nach New York und Washington, um eventuelle Zweifel an der „Robustheit“ des argentinischen Finanzsystems auszuräumen. Wie Mexiko weist auch Argentinien ein hohes Defizit (elf Milliarden Dollar) auf, was zur Abhängigkeit von ausländischen Kapitalströmen führt. Der argentinische Peso, seit April 1991 im Wert von eins zu eins an den US-Dollar gekoppelt, gilt als vielfach überbewertet. Eine Abwertung der Landeswährung wie im Fall von Mexiko schloß Cavallo jedoch aus: Der Wirtschaftsminister versicherte den internationalen Anlegern, daß Argentinien seinen Verpflichtungen mit Hilfe weiterer Privatisierungen nachkommen werde.

Daß die „Schmuckbestände der Familie“ irgendwann ausgeschöpft sind, interessiert Domingo Cavallo zur Zeit nicht. Vier Monate vor den Präsidentschaftswahlen am 14. Mai gilt es, den Schein der Normalität zu wahren. Denn die Auswirkungen des Börsensturzes in Mexiko auf Buenos Aires haben die ehemals sichere Perspektive der Wiederwahl von Präsident Carlos Menem, Inbegriff des Neoliberalismus, ins Wanken gebracht.