„Die Erfahrung der Alt-68er und unsere Power“

■ Birgit Spohn, 18jährige Schülerin, Bundessprecherin des Grün-Alternativen Jugendbündnisses, bezweifelt, daß 30jährige wesentlich besser entscheiden

taz: Ihr fordert das aktive und passive Wahlrecht – sogar auf Bundesebene. Ihr müßt euch ja ganz schön alt fühlen.

Birgit Spohn: Unsinn. Wir wollen Verantwortung übernehmen. Die Politik, die jetzt gemacht wird, hat schließlich auch auf uns Auswirkungen. Es geht um unsere Zukunft. Viele Jugendliche arbeiten schon mit 16, zahlen Steuern, nur wählen sollen sie nicht dürfen.

Glaubst du, daß 16jährige Politik machen können?

Ich hab‘s getan. Politik machen hat nichts mit dem Alter zu tun. Viele Erwachsene sind nicht weiter als manche 14jährige. Sie wählen, ohne Wahlprogramme zu kennen. Viele Jugendliche kennen die.

Mit 16 Jahren also schon Strukturen durchschauen und Verantwortung übernehmen ...

Strukturen können leicht durchschaut werden ...

Auch Entscheidungen getroffen werden über Millionenprojekte?

Davon bin ich überzeugt. Ich bezweifele, daß 30jährige es wesentlich besser können. Es kommt auf das politische Interesse an.

Was haben Jugendliche Besonderes zu bieten?

Frischen Wind. Jugendliche gehen an vieles idealistischer ran, sehen nicht immer alles ganz realistisch. Genau das und auch die Emotionen der Jugendlichen fehlen in der Politik.

Was hat Frische mit Politik zu tun?

Wenn ich mir die Alt-68er ansehe, so sind die doch schon ganz schön abgestumpft. Die Jugendlichen gehen wieder mit Utopien ran, mit Power und Energie. Da finden sich die Alt-68 wieder, aber das fehlt ihnen inzwischen.

Welche Utopien?

Utopien sind die Erhaltung der Natur, eine klassenlose Gesellschaft, weg vom Kapitalismus ...

Daran hat sich eure Elterngeneration erfolglos abgearbeitet.

Wenn die Erfahrung der Alt-68er und unsere Power zusammenkommen, halt ich das für eine wichtige politische Voraussetzung.

Gerade die Alt-68er haben von Stellvertreterdemokratie nicht viel gehalten. Warum steht ihr so auf Parlamentarismus?

Weil sich bei uns die Meinung durchgesetzt hat, daß man nur darüber etwas ändern kann.

Warum wollt ihr euch so früh auf die unappetitliche Ebene der Erwachsenen begeben, statt euer eigenes Ding zu machen?

Genau diese Frage ist bei uns sehr umstritten. Ein Flügel, mit dem ich stark sympathisiere, denkt, daß die Erwachsenenstrukturen für Jugendliche nicht sehr ansprechend sind und man als eine Art APO dagegensteuern sollte. Aber der Parlamentarismus-Flügel ist momentan stärker.

Hast du keine Angst, daß du in den Erwachsenenstrukturen deinen Idealismus verlierst?

Die Angst hab' ich schon. Ich hab' mir vorgenommen, sofort aus der Politik auszusteigen, wenn ich das merke.

Wenn das Wahlalter gesenkt wird, soll dann auch das Jugendstrafrecht nicht mehr bis 18 beziehungsweise 21 gelten?

Jugendliche müssen für ihr Handeln vollste Verantwortung übernehmen. Das müssen sie lernen und die ganzen Konsequenzen tragen. Aber das Jugendstrafrecht müßte grundsätzlich reformiert werden. Ich halte es für unsinnig, Jugendliche einzusperren.

Prognosen sagen, jüngere Wähler würden die linken Parteien stärken. Ist euer Engagement Wahltaktik?

Oh nein! Die grünen Jugendorganisationen sind parteiunabhängig und stehen der Partei kritisch gegenüber. Außerdem kommt die Forderung, das Wahlrecht auf 16 zu senken von uns, nicht von der Partei.

Gerade Jungmänner unter 18 sind für rechte Parolen anfällig. Würden die Rechten vom herabgesetzten Wahlrecht profitieren?

Das rechte Phänomen kommt nicht von Jugendlichen, sondern aus der ganzen Gesellschaft. Wenn Jugendliche nicht politikverdrossen sind, sind sie zwar stark in rechts und links polarisiert. Aber das größere Potential liegt nicht rechts. Interview Bascha Mika