Permanentes Rot törnt ab

■ Die SchülerInnen müssen mehr Klassenarbeiten schreiben, weil sich Senator Klemann um ihren schriftlichen Ausdruck sorgt / GEW: "Schule von gestern"

In einem Punkt sind sich fast alle einig. Den SchülerInnen von heute, so wird häufig und gern geklagt, gehe die schriftliche Ausdrucksfähigkeit zunehmend verloren. Manche sehen dadurch gar die Studierfähigkeit der AbiturientInnen gefährdet.

An einem Konzept, mit dem diesem Mangel zu begegnen sei, scheiden sich freilich die Geister. Für Schulsenator Jürgen Klemann (CDU) liegt die Lösung darin, mehr Klassenarbeiten schreiben zu lassen. Zu Beginn des laufenden Schuljahrs im vergangenen Sommer verfügte er eine Änderung der Ausführungsvorschriften (AV) für schriftliche Klassenarbeiten, über die seither heftig gestritten wird.

Im Fach „Politische Weltkunde“ müssen die SchülerInnen der gymnasialen Oberstufe statt einer nun zwei Klausuren je Halbjahr schreiben. Konnten die Deutsch-, Mathematik- und FremdsprachenlehrerInnen bislang wahlweise zwischen zwei und vier Arbeiten schreiben lassen, müssen es jetzt mindestens drei sein. In den Klassen sieben bis zehn kommt ein Diktat hinzu. Daß dafür ein Aufsatz wegfallen soll, sagt der Senator zwar – in der AV steht es aber nicht.

Außerdem sollen „künftig bei allen Klassenarbeiten Mängel der sprachlichen Richtigkeit berücksichtigt werden“. Damit meint Klemann offenbar Rechtschreibfehler. Enthält eine Arbeit zu viele davon, sollen künftig bis zu zwei Punkte (von fünfzehn) abgezogen werden. Schließlich sollen die Klassenarbeiten die Hälfte zur Gesamtnote beisteuern. Zuvor blieb die Gewichtung den LehrerInnen überlassen.

Vor allem die stärkere Bewertung der Rechtschreibung kritisiert der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Erhard Laube. Worauf Klemann seine Behauptung angeblicher Klagen „der Wirtschaft“ über schlechte Orthographiekenntnisse stütze, „hat er nie rausgerückt“. Selbst wenn das stimme, so Laube zur taz, liege es daran, daß der Unterricht auch in Deutsch gekürzt worden sei und die SchülerInnen heute außerhalb des Unterrichts weniger läsen und schrieben. Um das zu ändern, „muß man mehr üben und nicht mehr Klassenarbeiten schreiben“.

Wer „den Anteil abfragbaren Wissens weiter erhöhen“ wolle, strebe nach der „Schule von gestern“. Heute würden dagegen auch andere Qualifikationen erwartet, etwa die Fähigkeit zu projektorientiertem Arbeiten. Besonders in Politischer Weltkunde gehe es um „Fähigkeiten, die durch eine Klausur nicht nachgewiesen werden können“. Just eine Untersuchung der Senatsschulverwaltung über die Qualität des Abiturs habe im vergangenen Jahr eine „Dominanz des Faktenwissens“ in den östlichen Bezirken bemängelt. „Jetzt verändert Klemann die Strukturen in Richtung Faktenwissen“, hält Laube dem Senator vor.

Auch der konservative Philologenverband kritisiert die neue Vorschrift. Durch die Einführung zusätzlicher Klassenarbeiten werde „das Pferd von hinten aufgezäumt“, meint Landesvorsitzender Claus Paetzold. Wichtiger sei es, die Stundentafel aufzustocken.

Klemann dagegen verteidigt das Klausuren-Marathon. „Ohne Zweifel bildet die Fähigkeit, sich zu einem Sachverhalt kenntnisreich, problembewußt und übersichtlich in schriftlicher Form zu äußern, eine wichtige, geradezu konstitutive Komponente im Komplex Studierfähigkeit“, heißt es in einem Schreiben an die Steglitzer Beethoven-Oberschule. Doch auch bei den Klausuren drängt die Schulverwaltung die Lehrer zum Abfragen von Faktenwissen. Die Arbeiten sollten möglichst kurz geschrieben werden, um „unstrukturierte assoziative Darstellungen von unangemessener Quantität“ zu vermeiden.

Sybille Volkholz, bildungspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus, sieht dagegen die von der rot-grünen Koalition erreichten Fortschritte zurückgedreht. Es sei zwar „sinnvoll, mehr Anlässe für den Gebrauch von Schriftsprache“ zu schaffen, nur müßten diese nicht immer benotet werden: „Das permanente Rot demotiviert die Schüler.“ Referate, Projektdarstellungen oder Zeitungen könnten dagegen das schriftliche Mitteilungsbedürfnis steigern. Ralph Bollmann