Krisensitzung bei der „Welt“

■ Werden Chefredakteur und Redaktionsleiter abgesetzt?

Berlin (taz) – Wieder herrscht Unruhe bei Springers Tageszeitung Die Welt: Seit Wochen halten sich hartnäckig Gerüchte, nach denen der Redaktionsdirektor Manfred Geist (Spitzname: Manöver- Mani) und der Chefredakteur Peter Gillies zur Disposition stehen. Gestern nun traf der Hamburger Verlagsgeschäftsführer Dietrich Rusche in Berlin ein, um, wie man hofft, die Lage zu klären. Es wird erwartet, daß dann zumindest einer der beiden Betroffenen abgelöst wird.

Hintergrund der Unzufriedenheit ist die „mangelnde Innovationsfreude“ der beiden Redaktionsleiter. „Die blockieren jede Neuerung“, klagt ein Redakteur. Und das, obwohl der neue Vorstandvorsitzende des Axel-Springer-Verlages, Jürgen Richter, die Parole ausgegeben hat, das Verlustunternehmen Welt (geschätztes Minus: 40 Millionen jährlich) moderner und lukrativer zu machen. Die Redaktion hat Zweifel, ob dies mit der alten Führungsmannschaft zu machen ist – die im vorletzten Jahr beim Umzug von Bonn nach Berlin neu gegründete Berliner Lokalredaktion scheint die Hoffnung bereits aufgegeben zu haben.

Erfolgreich startete der Lokalteil am 1. Juni 1993 unter der Führung von Frank Mangelsdorf. Bereits im Quartal III/93 steigerte sich die Berlin-Auflage von unter 10.000 zunächst auf über 17.000 Exemplare und pendelte sich später bei knapp 15.000 ein. Doch im Oktober 1993 bekam Mangelsdorf einen zusätzlichen Chef vor die Nase gesetzt: Thomas Leichsenring. Es wird gemunkelt, daß die Verpflichtung Leichsenrings ein Gefallen eines Duzfreundes gewesen sein soll, des damaligen Vorstandsvorsitzenden Günter Prinz. Leichsenring hatte zuvor in Gruner+Jahrs „Berliner Verlag“ erfolglos die Sonntagspost geleitet, war dann zu Gala gewechselt, bevor er drei Monate später zur Welt ging.

Deren Lokalredaktion konnte sich nicht mit ihrem neuen Vorgesetzten abfinden. Wütend kündigte Mangelsdorf und wechselte zum Konkurrenten Tagesspiegel. Auch die Chefin vom Dienst, Hannelore Schütt, verließ nach 15 Jahren die Welt, die beiden Rathausreporter Roland Nelles und Axel Bahr kündigten.

„Die Stimmung im Hause ist beschissen“, erzählt ein Redakteur, „der Fisch stinkt vom Kopf.“ Auch die Sportredaktion verlor vor kurzem ihren Leiter Frank Quednau, der, ebenso wie sein Kollege Michael Streck, zur Hamburger Zeitschrift Sports wechselte. Am Montag will der Betriebsrat der Welt nach Hamburg reisen, zum Krisengespräch mit Vorstandschef Richter, um den Personalschwund zu diskutieren.

Michaela Schießl