SPD als Dioxin-Verharmloser

Düsseldorfer Landesregierung im Clinch mit kritischen Wissenschaftlern / SPD-Fraktion beantragt Beugehaft für Epidemiologen  ■ Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) – Wenn es nach dem Willen der Düsseldorfer SPD-Landtagsfraktion geht, dann wird sich der Hamburger Arzt und Epidemiologe Wilfried Karmaus in Kürze im Knast wiederfinden. Im Landtagsuntersuchungsausschuß, der die Hoesch-Dioxin-Affäre auf Antrag der Opposition aufzuhellen versucht, hat die SPD mit ihrer Mehrheit einen Antrag beim Amtsgericht durchgesetzt, der darauf hinausläuft, Karmaus per Ordnungsgeld und Erzwingungshaft zum Sprechen zu bringen. Die SPD will von Karmaus die Namen jener zwei Institutsleiter, die ihm im Zusammenhang mit der Erstellung von höchst brisanten Umwelt- und Gesundheitsstudien von Pressionen seitens der Düsseldorfer Landesregierung erzählt haben. Karmaus hatte wörtlich erklärt: „Ich weiß von Institutsleitern in NRW, daß bei der Vergabe von Aufträgen, bei der Anschaffung von Geräten und bei der Abfassung von Berichten Pressionen ausgeübt werden.“ Der Mediziner ist inzwischen entschlossen, „lieber in Beugehaft zu gehen, als die Namen zu nennen“ – aus Fürsorgegründen. Denn nach seinen ersten Ankündigungen „ist sozusagen eine Angst auf mich eingebrochen von Leuten, die nicht genannt werden wollen“, sagt er.

Inzwischen bedauert der Hamburger Dioxinexperte, überhaupt Namen von Kritikern genannt zu haben, etwa den von Dr. U. Ewers vom Hygiene-Institut in Gelsenkirchen. Ausweislich des von Ewers genehmigten Protokolls einer wissenschaftlichen Diskussion über eine Studie zum hochgradig dioxinverseuchten Marsberger Kieselrot hat dieser sich Ende Oktober 1992 so geäußert: „Aus Düsseldorf war natürlich ein bestimmtes Ergebnis erhofft und auch gewünscht worden – das will ich nicht verschweigen, und da gab es von einigen Mitarbeitern des Ministeriums durchaus Pressionen, in der Wertung der Ergebnisse das auch so darzustellen.“ Davon will Ewers jetzt nichts mehr wissen. In einer vom Düsseldorfer Gesundheitsministerium angeforderten Stellungnahme schwört der Wissenschaftler ab: „Aus heutiger Sicht bedaure ich die in Bremen gemachte Äußerung und nehme diese hiermit zurück“ – natürlich aus freien Stücken. Aber erwähnt werden soll doch, daß das Gelsenkirchener Hygiene-Institut viele Aufträge aus Düsseldorf erhält und der Institutsneubau vom Land mit 13 Millionen Mark gefördert worden ist. Daß im Vorstand des Trägervereins Helmut Weber, Referatsleiter im Gesundheitsministerium, sitzt, rundet das Bild ab. Bei allen Dioxin- und Holzschutzmittelstudien der vergangenen Jahre spielte Weber als Auftraggeber eine entscheidende Rolle.

Dioxin-Kritiker zählen Weber zu den dreistesten Dioxin-Verharmlosern Deutschlands. Als zum Beispiel die Leiterin des Dortmunder Gesundheitsamtes, Annette Düsterhaus, nach dem Bekanntwerden des extremen Dioxinausstoßes der Hoesch-Sinteranlage in Dortmund im Sommer 1993 vor dem Verzehr von Salat und Grünkohl warnte, meldete sich Weber bei der Medizinerin empört am Telefon zu Wort. Auch nach der Veröffentlichung der Gutachten machte Weber Druck: Nach der Aussage von Düsterhaus vor dem Düsseldorfer U-Ausschuß erwartete Weber, „daß wir auch eindeutig sagen, es bestehe keine chronische Gesundheitsgefahr“. Doch dazu sah sich die Medizinerin „außerstande“. Mit gutem Grund, denn Untersuchungen etwa der US-Umweltbehörde EPA sprechen eine andere Sprache. Doch die Düsseldorfer Verharmloser wollen davon nichts wissen. Bei der Dortmunder Gesundheitsamtsleiterin hinterließen die Interventionen durch Weber jedenfalls das „Gefühl“, auf „mich als Leiterin des Dortmunder Gesundheitsamtes solle Druck ausgeübt werden“.

Von „Druck“ aus Düsseldorf berichtet auch der Hamburger Arzt Karl-Rainer Fabig. Der Holzschutzmittelexperte erhielt nach einem Fachgespräch, bei dem er die Untersuchungsergebnisse einer NRW-Studie kritisiert hatte, einen Anruf aus Düsseldorf. Dabei wurde ihm von einem Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums offenbar bedeutet, man werde gegebenenfalls Einfluß auf die Kassenärztliche Vereinigung in Hamburg ausüben, um seine Niederlassung in Frage zu stellen. Im WDR erklärte Fabig wörtlich: „Ich wurde angerufen, und eine solche Drohung wurde ausgesprochen.“ In einem Brief an das Ministerium hat Fabig inzwischen erklärt, er werde den Namen seines Gesprächspartners nicht nennen. Alles deutet indes auf Weber hin, der in einer dienstlichen Erklärung schon mal vorsorglich dementierte: „Ich habe keinen Gutachter unter Druck gesetzt oder bedroht.“ Die SPD-Mehrheit im U-Ausschuß will Fabig selbst erst gar nicht als Zeugen hören. Einen Antrag der Opposition bügelten die Genossen mit ihrer absoluten Mehrheit ab. CDU und Grüne wollen nun die Vernehmung per Landesverfassungsgericht durchsetzen. Das Treiben der Düsseldorfer Sozialdemokraten stimmt Wilfried Karmaus, selbst Sozialdemokrat, inzwischen nur noch „traurig“. Mit „sozialdemokratischer Gesundheitspolitik hat das nichts mehr zu tun“. Seinen Düsseldorfer Parteifreunden gehe es „nur noch um die Machterhaltung“. Die keilen so zurück: „Bei Herrn Karmaus handelt es sich um einen absoluten wissenschaftlichen Außenseiter“, erklärt Manfred Oettler, Pressesprecher des Gesundheitsministeriums. Dessen Kritik an den Dortmunder Dioxin-Gutachten sei „höchst unseriös“. Die unter Leitung des an der Bochumer Uni lehrenden Toxikologen Fidelis Selenka erstellte Studie zur Dioxinbelastung durch die Dortmunder Hoesch-Sinteranlage wertet die Landesregierung als Entlastung erster Klasse. Düsseldorfs Umweltminister Klaus Matthiesen sprach gar von „völliger Entwarnung“, denn die stichprobenhaft untersuchten Personen wiesen lediglich eine Dioxinbelastung auf, wie sie „allgemein als Hintergrundbelastung üblich ist“. Demgegenüber hält Karmaus die Ergebnisse der Studie für „hinfällig“. Zur Beurteilung der Gesundheitsgefährdung sei sie „völlig untauglich“. Die Anzahl der untersuchten Personen sei „viel zu klein“, die Stichprobe sei in einem „überhaupt nicht zulässigen Verfahren ausgewählt worden“. Außergewöhnlich hohe Dioxinbelastungen fand man nur im Blut von zwei Kindern. Während Matthiesen diese Ergebnisse genau wie der Gutachter Selenka als die üblichen „Ausreißer“ abtut, spricht der in Windrichtung des Hoesch-Werkes praktizierende Kinderarzt Ulrich Freitag von einem „direkten Zusammenhang“ zwischen den Dioxinemissionen aus der Anlage und der auffälligen Häufung von Erkrankungen seiner jungen Patienten. „Es sind nur 6 Kinder untersucht worden. Es müßten aber mindestens 600 sein“, so Freitag.

Die von Matthiesen im Jahr 1993 monatelang vertuschten Dioxinmessungen hatten in der Hoesch-Anlage 43 Nanogramm Dioxin pro Kubikmeter Abluft ergeben – 430mal soviel, wie eine neue Müllverbrennungsanlage ausstoßen darf. Hochgerechnet stieß die Anlage die extrem hohe Menge von 270 Gramm Dioxin pro Jahr aus. Zum Vergleich: Das Umweltbundesamt schätzt den gesamten Dioxinausstoß in Deutschland auf jährlich 1.000 bis 3.000 Gramm.

Angesichts dieser Relationen ergibt die Selenka-Studie tatsächlich eine überraschend „normale“ Belastungssituation. Wie Karmaus führt auch der Kieler Hochschullehrer und Toxikologe Otmar Wassermann diese Ergebnisse auf „schwerwiegende Fehler“ bei der Studienplanung und -durchführung zurück. Wassermann befürchtet, daß „bei längerfristig angelegten, genauen Untersuchungen sehr viel mehr zutage tritt, als wir bisher wissen“.

An der Düsseldorfer Landesregierung und ihren ministeriellen Bürokraten prallt das alles ab. Wie man mit unliebsamen Kritikern am liebsten umspränge, offenbarte Referatsleiter Weber vor dem U- Ausschuß in dankenswerter Klarheit. Wassermanns Darlegungen seien „wissenschaftlich nicht gerechtfertigt und unredlich“. Wörtlich fügte der Pressionskünstler dann hinzu: „Ich bin der Meinung, daß man einem solchen Wissenschaftler die akademischen Grade aberkennen müßte.“