Der Hinterkopf tanzt mit

■ Wie spielt ein norddeutsches Orchester spanisch? – Ein Gespräch mit dem Dirigenten Miguel Gómez Martinez zum heutigen Konzert in der Glocke

taz: Sie koppeln gerne spanische Musik mit deutscher oder europäischer Sinfonik. Gibt es da Beziehungen oder ist das ein bewußter Gegensatz?

Gómez: Also, die spanische Musik ist wenig bekannt. Ich bin Spanier und fühle einfach die Verpflichtung, mich für diese Musik einzusetzen. Andererseits habe ich bei Hans Swarokwski in Wien studiert und bin der anderen Tradition verbunden. Die Kombination ist also meine Aufgabe.

Wenn man einmal an die Farbigkeit der spanischen Musik denkt, an das Timbre, an die Rhythmen auch: Gibt es Schwierigkeiten für deutsche Orchester?

Ja, natürlich, aber es ist absolut machbar. Wenn die Musik gut ist, wenn man sie exakt macht, dann hat man auch den Charakter. In diesem Fall trifft das Orchester die ungemein heiklen Rhythmen sehr gut.

Für die „Rhapsodie espagnole“ von Ravel haben wir einen französischen Komponisten spanischer Herkunft, wir haben ein spanisches Stück, einen spanischen Dirigenten und ein norddeutsches Orchester.Wie steht es mit der Kompetenz für das spezifisch spanische, zum Beispiel den nordspanischen Jota-Tanz im letzten Satz?

Diese Jota hat verschiedene Teile. Im Originaltanz müssen die Tänzer sehr hoch springen und vollziehen komplizierte Schritte...

Müssen die Musiker das denn für die Wiedergabe wissen?

Ja, unbedingt.

Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen spanischen und deutschen Orchestern?

Lateinische Orchester müßte man sagen, die italienischen gehören auch dazu. Sie haben weniger Körper, weniger Tonsubstanz. Wenn man hier acht erste Geigen braucht, werden für denselben Effekt in Spanien zehn benötigt.

Woran liegt das?

An einer ganz anderen Strich- und Spielweise, der Bogen wird etwas schräg gestrichen, in Deutschland ganz gerade. Die Bläser sind in Spanien viel beweglicher. Aber so etwas darf man nicht generalisieren, es ist nur eine Tendenz. Der Charakter spielt natürlich noch eine große Rolle.

Sie haben etwa gleichviel Oper und Sinfonie dirigiert, ziehen Sie heute etwas vor?

Nein. Zunächst einmal ist das eine Frage der Technik. In der Oper gibt es ja zwei Ebenen, die riesige Distanz, die zu den Sängern überwunden werden muß, zwingt zu vielen Kompromissen. Im Konzert muß man sehr viel genauer und strenger sein.

Wenn man ein Orchester nicht kennt, wieviel Proben setzt man dann an?

Die Proben sind vorgegeben. Es gibt vier zu zweieinhalb Stunden und eine Generalprobe.

Wieviel passiert denn in den Proben und wieviel am Abend? Wie ist das Verhältnis von Proben und Aufführung?

Die Proben sind absolut die Hauptsache. Am Abend muß nur noch selbständig musiziert werden.

Seit wann wissen Sie denn, daß Sie Dirigent werden wollen?

Seit ich sieben Jahre alt bin. Meine Mutter ist Pianistin, mein Vater Trompeter, ich war immer dabei und wollte von Anfang an dirigieren. Gelernt habe ich Klavierspielen, Geige und Kontrabaß. Ich komponiere auch, meine Sinfonie – sie wurde in Mannheim, als ich dort Generalmusikdirektor war, uraufgeführt – hat Rhythmus, Melodie und Harmonie. Zu experimentellen Sachen habe ich keine Lust.

Was bestimmt Ihren interpretatorischen Ansatz?

Die Genauigkeit des Textes. Ich habe Angst vor Stücken, die zu bekannt sind, weil es sehr schwer ist, die eingespielten Gewohnheiten wieder herauszubekommen. Ich mache ganz einfach, was dasteht und da ist nichts frei. Beethoven hat nach den Aufführungen immer gefragt „Wie war das Tempo?“, und dann hat er das Tempo über Metronomzahlen festgelegt. Ich darf keinesfalls mich einbringen, sondern ich bin ein Übersetzer, mehr nicht. Brahms zum Beispiel hatte Angst vor der Willkür der Interpreten, er hat alles im Detail festgelegt.

Was würden Sie am Konzertbetrieb ändern wollen?

Die Unflexibilität. Anzahl und Länge der Proben müssen unbedingt nach den Erfordernissen des Programmes bestimmt werden. Ich verstehe einen Musiker noch immer als einen, der sein Liebstes macht und auch noch dafür bezahlt wird. Dann die Macht der Agenten: die sollen für die Künstler da sein und nicht sie benutzen.

Ute Schalz-Laurenze

Heute und morgen abend um 20 Uhr in der Glocke: Sinfoniekonzert des Philharmonischen Staatsorchesters, mit Werken von Maurice Ravel, Manuel de Falla und Robert Schumann