Hessen vorn – diesmal mit den Grünen

■ SPD und Grüne setzen im Hessen-Wahlkampf auf Fortsetzung ihrer Koalition

Marburg (taz) – Offizell geben sie es nicht zu. Aber es hat die Sozialdemokraten doch geärgert, daß ihnen ausgerechnet die Bündnisgrünen ihren alten Wahlslogan „Hessen vorn!“ schlicht geklaut haben. „Hessen vorn – nur mit uns!“ heißt gar die selbstbewußte Steigerung des grünen Koalitionspartners, mit der am Wochenende auf dem Landesparteitag in Marburg die heiße Phase des Wahlkampfes eingeleitet wurde.

Bei dieser Wahl, so Joschka Fischer, gehe es „um verflucht viel“, schließlich klopfe der „Reaktionär“ Manfred Kanther für die Christdemokraten an die Pforte der Staatskanzlei in Wiesbaden. Und in Hessen, da ist sich der Ex- Umweltminister des Landes und amtierende Fraktionssprecher der Bündnisgrünen im Bundestag sicher, existiere die größte Schnittmenge zwischen den Vorstellungen der CDU und denen der „Republikaner“. Nur wenn Sozialdemokraten und Grüne die begonnene Reformpolitik fortsetzen könnten, werde es gelingen, das traditionell tolerante Klima in Hessen zu erhalten und noch auszubauen, den Schulfrieden weiter zu sichern und am ökologischen Umbau der Industriegesellschaft auch im Interesse der Ökonomie weiterzuarbeiten.

Die Sozialdemokraten reiben sich für jede Wählerstimme buchstäblich auf: Mit einem roten Radiergummi als Werbegeschenk im Marschgepäck, ziehen die Spitzenmänner und -frauen der SPD in den kommenden Wochen durch das Hessenland, um die Bürgerinnen und Bürger auf rund 2.500 Wahlveranstaltungen zu bitten, am 19.Februar in der Wahlkabine „mit Erst- und Zweitstimme“ sozialdemokratisch zu votieren. Ziel der SPD sei es, so Wirtschaftsminister Lothar Klemm, stärkste Partei im Landtag zu bleiben. In Anbetracht der 43,6 Prozent, die die SPD bei den letzten Wahlen errungen hat, wird die absolute Mehrheit der 110 Landtagsmandate auch 1995 ein Traumziel bleiben. Wohl deshalb haben die Wahlkampfstrategen der Partei die Wahlplakate gleich rot-grün einfärben lassen. Auch für den amtierenden Ministerpräsidenten und Spitzenkandiaten Hans Eichel steht fest: „Wir wollen die erfolgreiche Koalition mit den Grünen fortsetzen.“ Die Grünen konnten 1991 7,2 Prozent der Wählerstimmen für sich verbuchen.

Klemm nannte drei Schwerpunktthemen, die im Wahlkampf der SPD eine herausragende Rolle spielen sollen: Die Schaffung von 100.000 neuen Arbeitsplätzen in Hessen noch bis zur Jahrtausendwende, den ökologischen Umbau auch aus ökonomischen Erwägungen heraus und die Sicherung der sozialen Fundamente für alle Bürgerinnen und Bürger.

Für drei Schwerpunktthemen im Landtagswahlkampf entschied sich auch die CDU: Innere Sicherheit, Arbeitsplätze und Schule. Und im Gegensatz zu den Sozialdemokraten setzt die Union voll auf den Spitzenkandidaten: „Wir hätten doch Tinte gesoffen“, sagt der Fraktionsvorsitzende der CDU im hessischen Landtag, Roland Koch, „wenn wir unseren Wahlkampf nicht auf Manfred Kanther zugeschnitten hätten.“ Der Bundesinnenminister mit dem „glasklaren Profil“ werde bei der „Volksabstimmung über den besseren Ministerpräsidenten“ die Nase vorn haben. Denn der amtierende Ministerpräsident sei einer breiten Öffentlichkeit nur durch „Skandale und Affären“ bekannt geworden. Daß nun ausgerechnet Manfred Kanther eine Affäre am Hals hat (vgl. taz v. 13.1.), ist ein schwerer Schlag für die Wahlkämpfer von der Union. Sollte es weitere Belege für dubiose Verträge bei Grundstücksverkäufen des Landes in der Zeit der Regierung Wallmann/Kanther (1987 bis 1991) geben, dann wird die Kanther-Kampagne der Union vielleicht noch ein Rohrkrepierer.

Ohnehin weiß Koch und auch Kanther, daß angesichts des eigenen Stimmenanteils von 42,1 Prozent ohne die FDP der herbeigesehnte „Wechsel“ in Wiesbaden nicht vollzogen werden kann. Doch eine Leihstimmenkampagne für die FDP werde es in Hessen nicht geben, erklärte Koch: „Die FDP wird es auch allein schaffen.“ Prinzip Hoffnung? 6,3 Prozent errangen die Liberalen bei den letzten Wahlen, ihr Trend zeigt seit Monaten nach unten. Die Spitzenkandidatin der FDP, Ruth Wagner, dürfte den Menschen in Hessen noch um einiges unbekannter sein als der amtierende scheue Ministerpräsident von der SPD. Und auch der Landesvorsitzende Wolfgang Gerhardt, der als Nachfolger von Parteichef Klaus Kinkel gehandelt wird, gehört nicht gerade zu den Publikumslieblingen im Land. Schon vor Monaten hatte sich die FDP auf die CDU als Koalitionspartner festgelegt.

In Hessen werden also die Wählerinnen und Wähler von keiner Partei darüber im unklaren gelassen, für welches feste Bündnis sie votieren. Prognostizierte Stimmenverluste für die SPD, so hieß es bei den Bündnisgrünen in Marburg selbstbewußt, würden von ihnen wiederaufgefangen. Ihr Wahlziel lautet „10 Prozent plus X“, so daß es am Ende reichen könnte für die Fortsetzung der sozial-ökologischen Koalition in Wiesbaden. Daß Kanther selbst nicht mit einem Erfolg rechnet, glauben auch die Sozialdemokraten. Schließlich, so hieß es in Baunatal, habe der Mann als amtierender Innenminister die Rückfahrkarte nach Bonn schon in der Tasche. Klaus-Peter Klingelschmitt