Teil holländischer Identität

In den Niederlanden sind Deutsche unbeliebt und deshalb ein Thema  ■ Aus Den Haag Janine Krüger

Die deutsche Botschaft in Den Haag ist nicht nur Beschwerdestelle für deutschfeindliche Holländer, sondern auch Kummerkasten für deutsche Urlauber. Lars, 22jähriger Student aus Deutschland, wurde auf der Straße angespuckt, als er während der Semesterferien an der Amsterdamer Universität Niederländisch lernte. Seine Lehrer bestanden darauf, ausschließlich englisch zu sprechen. Fragen auf deutsch wurden glatt ignoriert. Eine andere Studentin, Dänin, gestand Lars, daß ihre Übergangs-WG erst freundlich wurde, als sie sie überzeugt hatte, daß sie keine Deutsche sei. Deutschfeindlichkeit der Holländer: Einzelfälle, die nicht dramatisiert werden sollten, oder tatsächlich ein Problem?

Im März 1993 gab es den ersten Aufschrei der holländischen Presse. Die „Clingendael-Studie“ schlug ein wie eine Bombe. Im Auftrag des niederländischen Instituts für internationale Beziehungen ermittelte die Studie, was 15- bis 19jährige von den Deutschen halten. Das Ergebnis: Für die meisten der über 1.800 Befragten rangierte Deutschland im Vergleich mit anderen EU-Ländern auf der Sympathieskala ganz unten. „Bis zu diesem Zeitpunkt war Deutschfeindlichkeit hier weder Thema noch irgendwie zahlenmäßig erfaßt“, sagt Gerhard Almer, Pressesprecher der deutschen Botschaft.

Die Studie legt die Vorurteile offen dar: Der Deutsche sei komisch gekleidet, arrogant und habe einen dicken Bierbauch, eben ein „Scheißkerl“. Er sei „obrigkeitstreu“ und „intolerant“, ja sogar „kriegstreiberisch“ und wolle „die Welt beherrschen“.(Und was ist mit dem Frauenbild? d. Red.) Die meisten, die „Deutschland“ denken, denken gleichzeitig „Zweiter Weltkrieg, Rassismus, Rechtsextremismus und Gewalt gegen Ausländer“.

Der Befragungszeitraum 1992 fiel allerdings in eine kritische Periode. In Hoyerswerda und Mölln war es zu den ersten Übergriffen auf Asylantenheime gekommen. (Eine Krise ist keine Ausnahme, sondern die Steigerung des Normalzustandes; d. s.) Die negativen Assoziationen waren unzweifelhaft aber schon vorher vorhanden, nur nicht so deutlich.

Wanderarbeiter, Besatzer, ungeliebter Bruder

„Schuld an dem Bild der Deutschen ist unter anderem die Geschichte“, meint Dr. Rainer Lübbren, Leiter des Goethe-Instituts in Amsterdam. Im 16. Jahrhundert war Holland Kolonialmacht, und bis ins 19. Jahrhundert kannte man Deutsche in Holland nur als arme Wanderarbeiter.

In den Augen der Holländer kehrte der Zweite Weltkrieg dieses Verhältnis um. „Wie ein Donnerschlag fuhren die Deutschen 1940 ins Land“, sagt Lübbren, „obwohl sich Holland neutral verhielt.“ Holland verlor sein Gesicht und unmittelbar nach dem Krieg auch seine Bedeutung. Denn von 1949 bis 1963 wurde es auch noch um sein Prestige, die Kolonien, ärmer. Indonesien, West-Neuguinea, die Antillen und Surinam erkämpften ihre Unabhängigkeit.

Nirgends in Europa gab es während der Besatzung im Verhältnis so viele SS-Freiwillige wie in Holland. Trotzdem oder gerade deshalb: „Der aktive Widerstand gegenüber den Deutschen ist ein Mythos, der auch heute noch gerne zelebriert wird. Kaum ein niederländischer Großvater“, so Lübbren, „der seinen Enkeln nicht erzählt, wie er die deutsche Wehrmacht an der Nase herumführte.“

Nach dem Krieg siegte der holländische Pragmatismus, und man befürwortete den deutschen Wiederaufbau. „Wir müssen bei den Holländern zwei Ebenen im Umgang mit Deutschen unterscheiden: die rationale und die emotionale. Umgekehrt wie beim Nachbarland Frankreich bestimmen die wichtigen wirtschaftlichen Beziehungen das rationale Handeln, während die emotionale Haltung gegenüber den Deutschen kühl bis indifferent ist“, so Lübbren.

Mit 30 Prozent des Exports ist Deutschland heute wichtigster Außenhandelspartner. Der Gulden ist fest an die Deutsche Mark gekoppelt, und Holland zieht bei jeder Bewegung des Diskontsatzes sofort nach. Die Clingendael-Studie ist gleichzeitig Ausdruck der Angst vor der wirtschaftlichen Macht des Nachbarn.

„Das Deutschenbild ist deshalb problematisch, weil es Teil der holländischen Identität ist. Der Holländer definiert sich über den Deutschen“, so Almer. „Übertrieben gesagt: Der Holländer denkt, er sei wie der Deutsche – nur besser. Schlechte Eigenschaften werden so auf die Deutschen projiziert.“

Das niederländische Erziehungsministerium muß schon vor Clingendael etwas vom schlechten Bild der Deutschen geahnt haben, denn seit zwei Jahren betreibt man eifrig Maniküre. Schüler kannten von deutscher Geschichte nur die Zeit der deutschen Besatzung als Schnittmenge der Vergangenheit beider Staaten. Thema des Geschichts-Abiturs heute: „Deutschland von 1871 bis heute“, und das gleich zwei Jahre in Folge. Beweis für ein schlechtes Gewissen?

Politische Kosmetik für das Deutschlandbild

Auch die deutsche Regierung tut ihr Bestes für das angeknackste Image ihres Volks. Sie sorgte für ein anständiges Deutschland- Schulbuch. Die deutsche Botschaft gab bei holländischen Schulbuchautoren eine Aufklärungsbroschüre in Auftrag. Nach dem Motto „So sind die Deutschen wirklich“ erfahren holländische Kids nun alles über die Deutschen: zum Beispiel wie viele Deutsche in Kegelclubs, Kleingärtner- und Fußballvereinen sind. Genauso wichtig ist es, zu erfahren, wieviel Mikrowellen, Geschirrspülmaschinen und Wäschetrockner die Deutschen tatsächlich besitzen. Bleibt zu hoffen, daß die Lektüre nicht nur ein Lacherfolg wird.

Auch andere Meinungsbildner sind vorsichtiger geworden: Ging die niederländische Presse vorher eher ruppig mit dem großen Nachbarn um, wird seit Clingendael „selbst die Asylproblematik mit solchem Verständnis in der holländischen Presse behandelt, daß es manchmal zuweit geht“, bemerkt Almer.

Mitunter stehen sich die Deutschen selbst im Weg bei der Verbesserung ihres Images. Den letzten Tiefschlag erlitt die holländische Kollektivpsyche im vergangenen Jahr ausgerechnet durch einen Artikel des Spiegel-Reporters Erich Wiedemann. In „Frau Antje in den Wechseljahren“ (Spiegel Nr.9/94) zerstörte er den Mythos der Holländer von ihrer eigenen Identität: tolerant, demokratisch, liberal.