Die Noblesse des Lustprinzips

■ Vom Fanzine zum Hochglanzformat: Die Fotografien von Wolfgang Tillmans

Kleidsames, von Hauspantoffeln und Armeehosen bis zum Haarschnitt, dazu ein Fotograf, der seine Models zum Lachen bringt: Wolfgang Tillmans kümmert sich um die Szene, in der er sich bewegt. Seine Aufnahmen – zunächst nur für Fanzines gemacht, dann in Hochglanzzeitschriften und schließlich als C-Prints in Galerien und Museen vertreten – sind in gleichem Maße Produkt und Dokument von Jugendkultur zwischen Techno, Dreßcodes und dem, was nach der Clubnacht übrigbleibt. Bilder über die Grazie des Konsums, selbst im Trash, wo noch die Bierdosen im WG-Flur wie memorable Schätze wirken. Ein Hoch auf die Noblesse des Lustprinzips, auch auf dessen Vergänglichkeit. Denn als Hüllen ohne bestimmten Inhalt fristen Jugendstile ein kurzes und eher unüberschaubares Dasein. Sie existieren nur dort, wo niemand ganz genau hinsieht, auf Partys und Straßen oder am eigenen Leib. Bei Tillmans spiegeln diese flüchtigen Begegnungen das Naturell von Poperfahrung: Die Kamera gehört ganz einfach zum Alltag, dessen artifizieller Reiz etwa bei Larry Clarks verschworenen Drogenpaaren aus den Sixties noch mit der Grauzone der Illegalität korrespondierte. Solcherlei Pathos von Subversion und Hedonismus wirkt in Zeiten der „ravenden Gesellschaft“ ein wenig deplaziert – DJs diskutieren mit Ulrich Meyer systemtheoretisch über Ecstasy. Mitunter funktionieren Tillmans ausschweifende Techno-Fotos ähnlich aufklärerisch, unspektakulär. Lederschwule zum Kölner Karneval: Einige winken, andere tragen Polizeiuniformen, alle sind gleich.

Nicht das Selbstbewußtsein hat sich gewandelt, sondern die Akzeptanz der Medien, die als Umgebung statt Projektionsfläche dienen. Plötzlich taucht das Portrait von Lars, der Clips an den Brustwarzen trägt, nicht als Schuhreklame in Londons Underground- Fashionblatt „i-D“ auf, sondern wird von „Flash Art“ als Beweis für den Trend zur neuen Privatheit in der Kunst gelesen. Eine Art Fotobiografie im Zuge von Beck und Homerecording. Tatsächlich sucht Tillmans in seinen Aufnahmen auch den Moment, wo Banalität und Soziologie sich quasi als Ready-made ineinander verfangen. Deshalb arbeitet er gerne mit Schnappschüssen, schert sich kaum um Klischees (zur Love Parade wackeln die Menschen stereotyp wie Pudding in den Hüften) oder saubere Kameraeinstellungen (irgend etwas ist immer verschwommen, falsch ausgeleuchtet oder kreischt vor zuviel Farbe). Harald Fricke

„Wolfgang Tillmans. Fotografien“, Taschen Verlag, 100 Abb., 29.95 DM; bis 4. Februar in der Galerie neugerriemschneider, Berlin.