Den Koran im Ranzen

■ Islam wird Unterrichtsfach, doch wer darf ihn unterrichten?

Berlin (taz) – Die Ankündigung Nordrhein-Westfalens, als erstes Bundesland den Islam-Unterricht auf höhere Jahrgangsstufen und auf weiterführende Schulen auszudehnen, hat eine Diskussion in Gang gesetzt, die für einen Großteil der nichtdeutschen Bevölkerung längst leidige Auseinandersetzung ist. Seit Jahren können sich die Kultusminister der Länder nicht auf ein Konzept verständigen, ob und wie sie die drittgrößte Religionsgemeinschaft, den Islam, in den schulischen Alltag integrieren können. Gleichzeitig drängen muslimische Eltern ein Unterrichtsfach „Islam“ anzubieten. Viele Eltern sehen darin eine Anerkennung der eigenen Identität.

„Wir behandeln den Islam weit unter unserer Verfassung“, kritisert die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John. Um den Fundamentalisten nicht in die Hände zu arbeiten, müsse man den Islam- Unterricht „aus den Hinterhöfen in die Vorderhäuser holen“. Ein steigendes Bedürfnis nach einem islamischen Relgionsunterricht beobachtet auch die Türkische Gemeinde zu Berlin, „aber“, so der Vorsitzende Mustafa Cakmakoglu, „bisher gibt es kein liberales Angebot. Die Eltern sind zwangsläufig darauf angewiesen, ihre Kinder in die Koranschulen der Moscheen zu schicken. Dazu muß man andere Alternative bieten.“

Doch mit diesen Alternativen tut sich die deutsche Schulbürokratie schwer. Bundeseinheitliche Richtlinien gibt es bisher nicht. Die meisten Bundesländer haben Zuflucht in einer halbherzigen Zwitterlösung gesucht. Berlin, mit seiner großen islamischen „Community“ dokumentiert das behördliche Lavieren. Zusätzlich zum muttersprachlichen Ergänzungsunterricht wird hier ein islamischer Religionsunterricht auf türkisch angeboten. Dieser Unterricht findet außerhalb der Schulzeit statt, aber in den Räumen der Schule. Er wird vom Schulsenat finanziell gefördert, liegt aber außerhalb der Verantwortung der Schulaufsicht. Der Unterricht wird – völlig unkontrolliert – von LehrerInnen durchgeführt, die das türkische Generalkonsulat stellt.

In Bayern, wo Religion nach wie vor Pflichtfach ist, können die 40.000 Kinder muslimischen Glaubens in den Grund- und Hauptschulen das Fach „Ethik“ oder Untericht in islamisch- religiöser Unterweisung wählen. Wie in den meisten Bundesländern ist dieser Unterricht eng an den muttersprachlichen, meist türkischprachigen Ergänzungsunterricht gekoppelt und wird von Lehrern durchgeführt, die die Türkei bestellt.

Nordrhein- Westfalen, das jetzt nach achtjähriger Erfahrung in der Unterstufe seinen Islamunterricht auf die höheren Jahrgangsstufen ausdehen will, hat 1400 ausländische Lehrer für dieses Lehrangebot angestellt. Wobei nach Angaben des Kultusministeriums zwar 70 Prozent der muslimischen Schüler am muttersprachlichen Unterricht aber nur 13 Prozent am islamischen Religionsunterricht teilnehmen, der oft noch außerhalb der Unterrichtszeit liegt.

1987 hatten sich die Deutsche Bischoffskonferenz und die EKD mit den Kultusministerien darauf verständigt, daß auch den muslimischen Schülern eine religiöse Erziehung an öffentlichen Schulen garantiert werden müsse. Doch ein regulärer Islam-Unterricht scheitert bisher nicht nur an deutscher Ratlosigkeit, sondern auch an einem Ansprechpartner auf islamischer Seite. Verschiedene, teilweise auch konkurrierende islamische Gruppierungen konnten sich bisher nicht auf eine Dachorganisation einigen. Vor kurzem hat allerdings der „Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland“ einen Antrag auf Anerkennung als religiöse Körperschaft des öffentlichen Rechts gestellt, und damit eine Art Alleinvertretungsanspruch angemeldet. Vera Gaserow

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