Boris Jelzin hat alles unter Kontrolle

■ Einen Waffenstillstand will die russische Regierung nur dann schließen, wenn die Tschetschenen zuvor ihre Waffen zerstören / Tschetschenen drängen russische Armee vom Bahnhof in Grosny zurück

Moskau/Grosny (rtr/AP/taz) – Die Nachricht über eine Feuerpause in Tschetschenien war kaum drei Stunden alt, da wurde sie von Moskau bereits wieder dementiert. Die Einstellung der Kampfhandlungen, so eine Erklärung der russischen Regierung vom Dienstagabend, setze die Bereitschaft der Tschetschenen voraus, ihre schweren Waffen zu zerstören und die leichten Waffen abzuliefern. Zuvor hatte eine tschetschenische Delegation unter Leitung zweier Minister dagegen angekündigt, daß am Mittwochabend um 20 Uhr ein Waffenstillstand in Kraft treten solle. Darauf hätten sie sich bei ihren Verhandlungen mit dem russischen Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin geeinigt. Im Kreml wollte man Tschernomyrdins Gespräche mit der Delegation nicht einmal als den „Beginn offizieller Verhandlungen“ bezeichnen. Statt dessen wartet man nun, wie der tschetschenische Präsident Dschochar Dudajew auf das „Angebot“, die Waffen niederzulegen, reagieren wird. Allein eine positive, zustimmende Reaktion könnte nach Moskaus Sicht den Weg für Verhandlungen öffen. Auch dann ist Boris Jelzin aber nicht bereit, Dudajew als Verhandlungspartner zu akzeptieren. Dieser, so der Präsident gestern, sei des Völkermordes am eigenen Volk schuldig. Seine Regierung sei jedoch bereit, mit Kommandeuren, Klanältesten und Vertretern lokaler Verwaltungen zu sprechen. Außerdem versicherte der Präsident, daß er die russischen Armee unter Kontrolle habe. Jelzin: „Ohne mich passiert nichts Entscheidendes in Tschetschenien.“

Wenig Hoffnung auf einen baldigen Waffenstillstand machte unterdessen ein Vertrauter Dudajews. Moskaus Verhandlungsbereitschaft erkläre sich allein aus den zeitgleich in Genf stattfindenden Gesprächen zwischen US-Außenminister Warren Christopher und dem russichen Außenminister Andrej Kosyrew: „Wenn wir einen Waffenstillstand erreichen wollen, wird das nicht in ein paar Stunden, und nicht in ein paar Tagen sein.“ Auch Beobachter in Moskau gehen davon aus, daß es einen Waffenstillstand erst nach der Einnahme Grosnys durch die russischen Truppen geben wird.

Nach einer solchen Einnahme sah es gestern freilich nicht aus. Den tschetschenischen Truppen gelang es, die russischen Soldaten aus dem Bahnhof der Hauptstadt zu vertreiben. Außerdem versuchten sie, den Marktplatz zurückzuerobern. Dort haben die Russen ein Kommandozentrum, von dem aus der Sturm gegen den Präsidentenpalast Grosnys koordiniert wird. Die russischen Truppen setzten Artillerie und Kampfflugzeuge ein, verloren aber offenbar immer mehr an Boden.

Während Rußland nach Angaben aus Paris inzwischen einer Beobachtermission der OSZE zustimmte, lehnte Außenminister Kosyrew in Genf eine Entsendung von UN-Experten für Menschenrechte nach Moskau und Tschetschenien vorerst ab. Entsprechende Vorschläge des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, José Ayala Lasso, seien „Gegenstand weiterer Diskussionen“, erklärte ein UN-Sprecher am Dienstag in Genf. Zugleich versicherte Kosyrew aber, daß Rußland den „Weg zu Demokratie und Marktreformen“ nicht verlassen werde. Präsident Jelzin wolle sich wieder stärker Reformkräften zuwenden. her