Harte Zeiten für sanfte Reisen

Die Reiselust der Deutschen ist ungebrochen. Aber umweltverträglicher Tourismus ist immer noch ein Programm für Minderheiten  ■ Von Marita Vollborn

Die alljährliche Massenflucht über die Grenzen macht sogar der Bundesbank Sorgen. Die Dienstleistungsbilanz stimmt nicht mehr. Seit Jahren stagnieren die Einnahmen aus dem Inlandsgeschäft mit ausländischen Touristen, die Auslandsausgaben der Deutschen stiegen dagegen von 1990 bis 1993 um dreißig Prozent. 62 Milliarden Mark flossen auf diesem Weg über die Grenze, das Wachstum lag deutlich höher als der Zuwachs an verfügbarem Einkommen.

Das Geschäft machen die großen Reiseveranstalter – nicht zuletzt auf Kosten der Gastländer, die mit den ökologischen Schäden des Massentourismus kaum noch fertig werden. Hotelburgen an verwüsteten Stränden müssen aber nicht sein. Rund 100 kleinere und mittlere Veranstalter stellten am vergangenen Wochenende auf der fünften Messe für „anderes“ Reisen, dem „Reisepavillon“ in Hannover, ihre Angebote vor.

Entkoffeinierter Kaffee, nikotinarme Zigaretten und jetzt auch Reisen „sanft“? Was wie ein gelungener Schachzug einfallsreicher Marketingstrategen klingt, kann tatsächlich eine Alternative zum Massentourismus sein: umweltschonender Urlaub.

Seit nunmehr fünf Jahren organisieren Heike Keil-Seibold und Anke Biedenkapp von „Stattreisen Hannover“ die in der Bundesrepublik einmalige Schau. Bislang ist die Messe noch ein Minderheitenprogramm. Etwa 20 Prozent aller deutschen UrlauberInnen, so schätzte 1987 der Verein „Ecotrans München“, seien gegenüber Offerten alternativer Touristikunternehmen aufgeschlossen. Verläßliche Zahlen gibt es allerdings nicht; ebensowenig ist bekannt, wieviele der nach Angaben des „Deutschen Reisebüroverbandes“ (DRV) bundesweit etwa 3.000 Reiseveranstalter „sanften“ Urlaub anbieten. „Denn“, sagt Dietlind von Laßberg vom „Studienkreis für Tourismus und Entwicklung“ Starnberg, „die kleineren sind nicht im DRV organisiert.“

Seit neun Jahren vertritt der Verband „Reisenetz“ die Alternativen. Er zählt heute 54 Mitglieder, darunter mit einem polnischen Anbieter zum ersten Mal auch ein Unternehmen aus Osteuropa. Die meisten haben sich auf „Junges Reisen“ spezialisiert. „Das ist für uns weniger eine Frage des Alters, eher die der Einstellung, eine Reisephilosophie“, sagt Geschäftsführer Rainer Kluck.

Daß kleine Reiseunternehmen eine Lobby brauchen, denkt auch Karel Siemens, Vorsitzender der „Interessengemeinschaft der Anbieter, Vermittler und Veranstalter umwelt- und sozialgerechter Reisen“. Der Verein besteht seit fünf Jahren in Hamburg. Zwischen 250 und 300 Reisebüros, Firmen und Hotels flaggen grün: „Jedes Mitglied muß sich an unsere strengen Richtlinien halten“, versichert Siemens.

Doch der Markt ist oft noch strenger. Bis zum 1. November letzten Jahres waren die Reisebüros an Knebelverträge mit den Giganten TUI oder NUR gebunden. Seit das Bundeskartellamt den Unternehmen mitgeteilt hat, es halte diese Praxis für unvereinbar mit Artikel 85 des EU-Vertrages, reagieren die Riesen: Sie verzichten auf die entsprechenden Klauseln – eine willkommene Möglichkeit für die Großen, in die Agenturen der Mitbewerber vorzudringen. Und so weht der Wind der Konkurrenz den kleinen Veranstaltern noch rauher ins Gesicht.

Wo vor dem 1. November neben den Hochglanzprospekten von TUI die Angebote der kleinen Veranstalter auslagen, stapeln sich heute NUR-Kataloge. Die Reklameschriftchen der Kleinen verstauben in den untersten Regalen oder wandern in den Papierkorb. „Zwar ist der Zeitraum zu kurz, um das Ausmaß abzuschätzen“, so der Geschäftsführer des DRV, Burkhard Nipper, „aber der Anteil sowohl der kleinen als auch der mittleren Veranstalter in den Auslagen der Reisebüros geht kontinuierlich zurück.“ Der Direktvertrieb, einziger Fluchtweg für die kleinen und mittleren Unternehmen, führt oft in die Sackgasse. „Obwohl die Agenturen Provisionen bekommen“, so Nipper, „ist das Risiko beim Direktvertrieb ungleich größer.“

Zeitungsanzeigen, Serienbriefe oder das Verschicken von Prospekten an Haushalte sind kostspielig und garantieren noch keinen Erfolg. Trittbrettfahrer wittern trotzdem ein Geschäft in der Ökonische. „Wären wir nach streng ökologischen Aspekten gegangen, hätten wir nicht mehr als zehn bis zwanzig Aussteller einladen können“, sagt Heike Keil-Seibold. „Gewinn durch Verzicht“ kennzeichnet den wirklich „sanften“ Tourismus: Sightseeing ohne jet-setten, Vollwertmahlzeiten vom Bauern statt Dosenfutter, Bettgeflüster unter einheimischen Dächern anstelle von Schlafstätten in vollklimatisierten Hotelhochburgen. „Doch das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, meint Rolf Spittler vom BUND- Landesverband Nordrhein-Westfalen, „der sanfteste Tourismus ist immer noch gar keiner.“