Länger Einkaufen durch die Hintertür

Gewerkschaft will gegen flexiblere Öffnungszeiten mobil machen / Wirtschaftsminister Rexrodt will erst mal abwarten, weil sich die Handelsverbände noch nicht einig sind  ■ Von Henk Raijer

Berlin (taz) – Die Fronten sind dieselben, die Argumente seit Jahren bekannt. Für die einen sind die deutschen Ladenschlußzeiten ein „Fremdkörper in einem wettbewerbsorientierten Wirtschaftssystem“, die anderen mauern, weil bei längeren Öffnungszeiten die kleinen Geschäfte benachteiligt seien und für die Angestellten unter veränderten Arbeitszeiten leiden müßten.

Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) jedoch sieht nach seinem Gespräch mit Spitzenvertretern des Handels am Dienstag abend in Bonn gute Chancen für „Bewegung“ beim Thema Ladenschluß. Über Gesetzesänderungen will er aber erst wieder verhandeln, wenn er mit den Vertretern der Gewerkschaften gesprochen hat und ihm das Ladenschluß-Gutachten des ifo- Institutes vorliegt, das im Juni fertig sein soll.

Bei den verschiedenen Handelsverbänden sind alle Positionen vertreten: Völlige Freigabe fordern die einen, größere Spielräume wollen andere, und manche wollen um jeden Preis an den geltenden Schlußzeiten festhalten. Ein Kompromißmodell sieht vor, daß die Einzelhändler die Möglichkeit haben sollen, ihre Geschäfte bis 20.00 Uhr (Samstag bis 18.00 Uhr) geöffnet zu haben.

Die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV) hält mehr Spielraum bei den Öffnungszeiten für überfällig. Jeder Händler sollte selbst bestimmen können, wann er sein Geschäft offen oder geschlossen halten will. Nach Auffassung der AgV ist das seit fast 40 Jahren geltende Gesetz ohnehin von Ausnahmen längst durchlöchert. So dürften zum Beispiel Tankstellen auch nach 18.30 Uhr Getränke und Süßwaren verkaufen, aber keine Blumen. Solche Kuriositäten würden im liberaleren Ausland nur noch mit Heiterkeit aufgenommen. Die Deutsche Angestellten Gewerkschaft (DAG) bleibt jedoch bei ihrem strikten Nein: In einer Umfrage unter 140.000 Beschäftigten im Einzelhandel hatten sich 97 Prozent für die bisherigen Öffnungszeiten ausgesprochen. DAG-Sprecher Ingo Schwope bezeichnet das Argument einiger Handelsverbände, die „Flexibilisierung“ der Öffnungszeiten schaffe zusätzliche Arbeitsplätze, als „pure Ideologie“.

Bereits beim „langen Donnerstag“ sei es zu einer Verlagerung der Einkäufe in die Innenstädte gekommen. Doch die Ladeninhaber in den Wohnbezirken hätten davon überhaupt nicht profitiert. Außerdem habe sich überall gezeigt, daß „die zusätzlichen Einnahmen die Lohnkosten nicht aufwiegen“. Schwope erwartet daher mehr 560-Mark-Jobs: „Wir befürchten eine Tendenz zu weniger sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen.“ Die DAG, so Schwope, sei deshalb fest entschlossen, „ihre Möglichkeiten auszuschöpfen“. Notfalls werde sie die Betriebsräte aufrufen, dagegen vorzugehen. Denn diese hätten laut Betriebsverfassungsgesetz schließlich über die Länge der Arbeitszeit mitzubestimmen.