Ziemlich mißtrauisch und ängstlich

■ Studie belegt wachsende Angst vor Verbrechen

Berlin (taz) – Was alle ahnten, wird wissenschaftlich fundiert. Die Angst, Opfer eines Verbrechens zu werden, steigt; sie hat insbesondere nach der Wende stark zugenommen. Zu diesem Ergebnis kommen drei Studien, die das Max-Planck-Institut für Strafrecht in den vergangenen fünf Jahren durchgeführt hat. Die Angst der Bürger ist weder kleinbürgerlich noch reaktionär, sie ist berechtigt.

Seit Jahren klettert die Gesamtzahl der schweren Straftaten in die Höhe. Mord, Totschlag und Körperverletzung stagnieren, die Quote der Raubdelikte hingegen schnellt empor. Lag die Zahl der Raubdelikte 1990 noch bei 53 je 100.000 Einwohner, stieg sie 1992 auf über 70 an. Den Grund dafür sieht Helmut Kury, Kriminologe und Leiter der Untersuchungen, auch in der Wiedervereinigung. In der repressiven DDR seien solche Taten vom System ausgeschaltet worden. Beim Anstieg der Kriminalitätsrate handle es sich quasi um eine Angleichung an die westdeutschen Verhältnisse. Andererseits, so Kury, könne die enorme Furcht, Opfer eines Verbrechens zu werden, nicht nur mit den gestiegenen Zahlen erklärt werden. Sie sei vielmehr auch hausgemacht. „Vier Faktoren stiften Unruhe und Furcht im Menschen. Stichworte sind Sozialabbau, Drogenkriminalität, mangelnde Verbrechensprävention, aber auch der Hang zu Gewaltvideos“. Das diffuse Furchtkonglomerat lasse viele irreale Ängste aufkommen, die jeglicher Grundlage entbehren und abstruse Verhaltensweisen produzieren. „Wir haben Menschen kennengelernt, die nicht mehr ohne Begleitung tagsüber zum Einkaufen gehen“, sagt Kury. „Die Folge, wenn auch überspitzt formuliert, sind entvölkerte Stadtviertel, die zum Problembereich werden, weil sie keiner mehr für sich in Anspruch nimmt.“

Vor allem Frauen fürchten sich davor, Opfer eines Verbrechens zu werden. Etwa 40 Prozent Frauen und 13 Prozent Männer bezeichneten sich bei einer Emnid-Umfrage als ängstlich. Auf der Angstskala dominiert Kriminalität vor Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg und Umweltverschmutzung. Diese Rangfolge stellt Kury in Frage. „Wenn man differenzierter nachfragt, kommen differenzierte Ergebnisse heraus. Wenn sie fragen, an welcher Stelle steht Kriminalität in ihrer Gemeinde, kommt meist die erste Stelle. Wenn Sie fragen, welche Probleme existieren in ihrer Gemeinde, kommt Kriminalität an fünfter bis zehnter Stelle.“ Viele Umfrageergebnisse zu Ängsten trügen einen enormen Verfälschungscharakter in sich. „Wir haben nachweisen können, das Ergebnisse in wissenschaftliche Studien hineingefragt wurden.“

Trotzdem, die Grundstimmung in der Gesellschaft wird zunehmend ängstlicher. Verantwortlich dafür sei neben effekthascherischer Medienberichterstattung auch das zunehmend verwahrlosende Image der Polizei, sagt Kury.

Was tun, damit aus Ängsten wieder Vertrauen erwächst? Kury plädiert für eine bessere Sozialpolitik, eine neue Glaubwürdigkeit der gesellschaftlichen Instanzen. Sollte es nicht gelingen, die sozialen Probleme in den Griff zu bekommen, sieht er New Yorker Zustände auf die Bundesrepublik zukommen. Die allerdings werden nach des Kriminologen Schätzung frühestens in 100 Jahren unsere Großstädte erreichen. Kury plädiert, Kriminalität nicht länger ausschließlich im Zusammenhang mit Gesetzesverschärfung und härteren Sanktionen gegen Täter zu diskutieren. „Wir wissen, das härtere Strafen bislang Kriminalität nicht reduzieren konnten.“ Er hält Alternativen zum Knast wie Täter- Opfer-Ausgleich und gemeinnützige Arbeit für effizientere Formen der Resozialisierung. Annette Rogalla