Die Gene spinnen

Harald Juhnke trat nach seiner jahreszeittypischen Quartalssauferei erstmals wieder vor seinem Berliner Publikum auf und spielte – klar, Harald Juhnke  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Eigentlich gehörte die Zeit zwischen den Jahren, die sich zuweilen bis Anfang Februar hinzieht – dann kommen die Filmfestspiele und danach gleich der Sommer – Harald Juhnke. Seine jahreszeittypischen Quartalssäufereien im „Interconti“ plus Affäre mit der 18jährigen „Christiane“, die im Bonner Wintermärchen die Frau Holle spielte und sich von ihrer Affäre mit dem 65jährigen irgendeinen tristen Karriereschub versprach, begeisterte ganz Berlin.

In ihrer Funktion als Sprachrohr der teilnehmenden Berliner hatten Bild und B.Z. und Ellis Huber ein „Harald, hör doch bitte auf“ zugerufen und ihm angeraten, zurück zu seiner Frau zu gehen. Das tat er dann auch, nicht ohne zwischendurch noch einmal kurz (ein Nachbeben) das Glas zu heben.

Zwischendurch gab er noch irgendwelchen blonden Mäuschen von der Boulevardpresse seltsame Interviews mit offenem Bademantel. Um Britta Segger, den 26jährigen Medien-IM der Super-Illu, war es geschehen, als Juhnkes Kinn auf seine unbedeckte Brust sackte: „Auf einmal bin ich nicht mehr Journalistin, nur noch Frau. (...) Tränen kullern über meine Wangen.“ Das gruslig Tolle an Juhnke ist also eine gewisse, den Masochismus der Erfolgreichen transzendierende Transparenz. Von seltsamen Sehnsüchten getrieben, lebt er seine privaten Katastrophen in der Öffentlichkeit der Boulevardpresse. Noch nie in seinem Leben hätte er Freunde gehabt, erklärte er teilnahmslosen Journalistinnen; noch nie in seinem Leben sei er glücklich gewesen, und im Grunde seines Wesens sei er ein tieftrauriger Mensch. Die Mischung aus Arbeitswut, alkoholisiertem Psychokitsch, einem Ausflippen, das stets den Weg zurück findet ins geordnete Workaholicerleben, machte Juhnke zum erfolgreichsten Entertainer Deutschlands.

Besonders beliebt (fast wie „Al Bundy“) ist Juhnke – nebenbei auch Namenspatron der Punkkapelle „Harald Juhnkes rissige Hände“ – bei Haschrauchern. Und tatsächlich gibt es durchaus unterirdische Verbindungen zwischen Drogenfreunden und Alkoholenthusiasten: Während der Psychedelicpabst Timothy Leary zum Beispiel sagt, man könne irgendwie die eigenen Gene im Drogenrausch verändern – Richtung erweitertes Bewußtsein oder so –, sind die Gene bei Harald schon verändert. Das heißt, irgendwas ging schief bei der psychedelischen Verwandlung. Inzwischen gehört Harald zu den „Gamma-Alkoholkranken. Seine Gehirnzellen reagieren völlig anders auf Alkohol, als bei anderen Menschen (...): ,Ich bin krank, weil meine Gene spinnen.‘“ (Bild)

Daß es um mehr als um einen vergnüglichen Theaterabend ging, als Harald Juhnke Mittwoch abend in der Komödie „Sonny Boys“ im Theater am Kurfürstendamm erstmals wieder vor sein Berliner Publikum trat, war klar. Die Vorstellung war ausverkauft. Die Zahl der Journalisten aus „Deutschland und Österreich“, die gekommen waren, um zu sehen, ob Harald nun ebenfalls kommt oder nicht, ob er auf der Bühne zusammensackt oder sich am Riemen reißt, mit dem er sich so gerne schlagen läßt, schwankte zwischen „89“ und „98“.

Vor dem Theater gab es einen lustig klirrenden Auffahrunfall und Grog für 6,50 DM. Außerdem standen dort Busse, die Interessierte aus dem Umland herangekarrt hatten. Hinfällige RentnerInnen, Menschen um die 50, toughe Journalisten und ein irgendwie unseriös wirkender Herr im grasgrünen Jackett liefen durcheinander. Viele hielten „Lange Wiener“ in den Händen. Angeregt gab man sich heiter. Ein ganz in Schwarz gekleideter alter Mann scherzte mit einer Programmverkäuferin. „Wieviel kostet ein Programm? – Fünf Mark. – Und zwei Programme? – 10 Mark. – Und drei Programme? ...“ So sind hier die Leute. Prominente hätte sie nicht gesehen, sagte eine Tante von der B.Z., die die taz gut findet und ständig an ihrem Handy herumnestelte.

Ein tatsächlich recht unterhaltsames Theaterstück gab es übrigens auch noch. Ein, wie man so sagt, beifallsumtoster Juhnke macht im gestreiften Pyjama den Juhnke, d.h., er spielt den alten Komiker Willie Clark, der nichts mehr so recht auf die Reihe kriegt, seitdem ihn sein Partner Al Lewis (Wolfgang Spier – der ist tatsächlich gut) vor elf Jahren hat sitzenlassen. Die Männerfreunde verbindet eine Art Haßliebe. Als dynamisches Duo sollen sie noch mal zusammen fürs Fernsehen auftreten. Alles mißlingt, sie piesacken sich heftig. Clark (also Juhnke) bricht aufgeregt zusammen; sein Kumpel besucht ihn. Dann reden die Männerfreunde, die 43 Jahre zusammen auf der Bühne standen, zum ersten Mal ehrlich miteinander und gestehen sich sozusagen ihre Liebe. Viel Beifall; prima Abend; mit der zynischen B.Z.-Tante war ich früher auf einer Schule. Juhnke ist „prima“; Manfred Krug dagegen sei „faschistoid“, erklärten mir später Freunde, die mich beneideten. Detlev Kuhlbrodt