Noch lehnt Algier den Dialog ab

Nach dem Treffen der Oppositionsparteien in Rom vergangene Woche ist das algerische Militärregime isolierter denn je – selbst Frankreich fordert jetzt zu Verhandlungen auf  ■ Von Thomas Schmid

Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Zwar hat die algerische Regierung am Mittwoch den von der Opposition geforderten Dialog rundweg abgelehnt. Doch etwas anderes konnte man nun wirklich nicht erwarten. Vorerst geht es darum, das Gesicht zu wahren. In Rom hatten sich vergangene Woche sieben Parteien der islamistischen und demokratischen Opposition auf eine „Plattform für eine politische und friedliche Lösung der algerischen Krise“ geeinigt. Die Machthaber in Algier hatten das Treffen schon im Vorfeld als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Algeriens“ und „Attacke auf die Würde des Volkes“ denunziert. Kaum hatten die Führer in Rom ihre Unterschrift unter das Dokument gesetzt, verlautete aus der algerischen Hauptstadt, die Regierung lehne die Plattform, die auf die Lösung der Probleme des Landes keinen Einfluß haben werde, „zur Gänze und in ihren Einzelheiten“ ab. Statt dessen bot sie erneut „Verhandlungen mit den legalen Parteien“ an.

Und hier liegt die Crux. Die Partei, die die ersten freien Parlamentswahlen der algerischen Geschichte im Dezember 1991 gewann, ist illegal. Die „Islamische Heilsfront“ (FIS) hatte im ersten Wahlgang knapp 48 Prozent der Stimmen erhalten und hätte nach der zweiten Runde im Januar 1992 aufgrund des Mehrheitswahlrechts im Parlament über eine bequeme Mehrheit verfügt. Also stoppte die Armee den demokratischen Prozeß und löste den Wahlsieger per Dekret auf. Der ging in den Untergrund. Seither herrscht Terror und Gegenterror, ein Krieg, der vermutlich bereits 40.000 Tote gefordert hat. Und seither gibt es in der demokratischen Opposition Algeriens zwei Lager.

Auf der einen Seite stehen die sogenannten éradicateurs, für die die „Ausrottung“ des islamistischen Terrorismus die Voraussetzung für eine politische Lösung überhaupt ist. Zu ihnen zählen allen voran die marxistisch orientierte RCD, aber auch große Teile der frankophonen Intelligentsia, der Frauenbewegung, laizistische Gruppierungen. Sie haben die militärische Machtübernahme aus einer berechtigten Angst vor einer Islamisierung des öffentlichen Lebens und der Einführung einer Theokratie offen begrüßt.

Auf der andern Seite ist das Lager der „Verhandler“. Sie setzen sich für einen Dialog mit der FIS ein, in der Hoffnung, diese einzubinden und die terroristischen Gruppen zu isolieren. Wichtigster Exponent dieses Lagers ist Hocine Ait-Ahmed, Führer der FFS, einer sozialdemokratischen Partei, die die Mehrheit der kabylischen Berber hinter sich weiß, aber auch in den Großstädten des Landes präsent ist. In diesem Lager steht auch die FLN, die das Land 30 Jahre allein regiert hat und im Regierungsapparat weiterhin über einen gewissen Einfluß verfügt.

Nach dem Treffen in Rom sind die éradicateurs isoliert. Seit dem Wochenende ist nun klar, daß an der FIS kein Weg vorbeiführt. Die sieben Parteien, unter ihnen die FIS, die FFS und die FLN, die in Rom die Plattform unterschrieben, vereinigen an die 90 Prozent der Stimmen der Wahlen vom Dezember 1991, an der sich allerdings nicht einmal die Hälfte der Algerier beteiligte.

Daß kein Weg an der FIS vorbeiführt, scheint nun auch Frankreich verstanden zu haben. Während vor allem die USA schon lange auf eine Machtbeteiligung des Wahlsiegers von 1991 drängten, setzte die frühere Kolonialmacht bislang umstandslos auf die algerische Armee, um das selbe Ziel zu erreichen: Stabilität. Washington strebte ein containment der islamistischen Gefahr an, Paris ihre Ausrottung – bis letzte Woche. Schon während des Treffens in Rom erklärte Außenminister Alain Juppé überraschend, er begrüße die Initiative, die zu neuen Verhandlungen und zu Wahlen führen könne. Am Montag gab sein Sprecher bekannt, Frankreich appelliere an alle algerischen Politiker, nach dem „Friedensangebot“ sich dem Dialog zu öffnen.

So steht heute das algerische Regime innenpolitisch wie außenpolitisch isolierter da denn je. Ob es auch gelingt, seine militärischen Gegner, die islamistischen Terror- Gruppen zu isolieren, allen voran die GIA, bleibt die große Frage. Das wird vor allem von der FIS abhängen. In Rom hat sich die islamistische Partei verpflichtet, die bürgerlichen und demokratischen Rechte zu respektieren und den Terror zu verurteilen. Sie weiß, daß ihre Wähler den Krieg und die Gewalt leid sind. Das sind gute Voraussetzungen. Inzwischen hat auch die GIA Bedingungen für einen Waffenstillstand genannt, unter anderem die Bestrafung der verantwortlichen Generäle nach islamischem Gesetz und das Verbot atheistischer Parteien. Das sind Forderungen, die niemand erfüllen wird, aber sie zeigen immerhin, daß auch die GIA die Gefahr erkannt hat.