IG-Farben für souveräne DDR

Das Bundesverwaltungsgericht verhandelt über die Frage, ob im Dezember 1949 die sowjetische Besatzungsmacht oder die gerade gegründete DDR Grundstücke enteignet hat  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Es geht um etwa 40 Milliarden Mark. So teuer sind heute die Grundstücke, die Anfang Dezember 1949 in Berlin enteignet wurden. Außer einigen Privatpersonen wollen auch Konzerne wie AEG, Siemens, Tengelmann und die IG-Farben in Abwicklung ihre einstigen Immobilien von der Stadt und dem Bund zurückhaben oder dafür entschädigt werden.

Gestern mußten sich die Bundesverwaltungsrichter mit dem Problem auseinandersetzen. Im vollen Plenarsaal, unter den Gemälden ihrer Vorgänger gingen die fünf Männer mit altrosa Roben der Frage nach: Wer war für die Enteignungen verantwortlich – die sowjetische Besatzungsmacht oder der Magistrat für Groß-Berlin? Veröffentlicht wurde die sogenannte Liste 3 nämlich erst am 2. Dezember 1949, also genau 56 Tage nach Gründung der DDR. Das Gesetz über den Einzug von „Vermögen von Kriegsverbrechern und Naziaktivisten“, auf dem die Liste basiert, hat der sowjetische Kommandant bereits am 8. Februar 1949 erlassen.

Kommen die Richter in ihrem am 13. Februar erwarteten Urteil zu dem Schluß, daß die Sowjets für die Zusammenstellung der Liste verantwortlich sind, gehen die AlteigentümerInnen leer aus. „Das Vermögensgesetz und die Zwei- plus-vier-Vereinbarungen sehen vor, die Sowjetunion vom Unrechtsvorwurf freizustellen“, erläuterte der Vorsitzende Richter Everhardt Franßen. Das Rückgabeprinzip gilt erst für Enteignungen, für die die DDR verantwortlich ist.

So ging es denn gestern in Berlin vor allem um historische Einschätzungen. Der Magistrat legte die Liste den Sowjets vor, obwohl es die DDR schon gab, folglich fühlte er sich weiterhin abhängig vom Willen der UdSSR – so argumentierten die Vertreter von Bund und Berlin. „Aber die Liste kam am Tag später ohne Kommentar zurück“, hielt der Rechtsanwalt einer Alteigentümerin dagegen.

„Diese Verhandlung muß für Ältere gespenstisch wirken“, meinte wiederum der Rechtsanwalt der Bundesregierung. Früher habe jedenfalls niemand angenommen, daß die DDR-Führung etwas anderes als eine Marionetten-Regierung gewesen sei. Wenn es aber keinen Stichtag wie den 7. Oktober 1949 geben sollte, müßte man dann nicht auch die Enteignungen der 50er Jahre auf die Besatzungshoheit der Sowjets zurückführen?, fragte Richter Franßen die Anwälte von Stadt und Staat. Darauf fiel ihnen keine Antwort ein.

Die Aktionäre und Aufsichtsräte der I.G. Farben in Abwicklung hoffen jetzt auf die richterliche Einschätzung, daß die DDR eine verantwortliche Regierung hatte. Zwei Filetgrundstücke am Pariser Platz und Unter den Linden gehörten einst zum Imperium der Firma, die das KZ-Gas Cyclon-B produziert hat. Während die Zwangsarbeiter und Opfer zusammen lediglich 27 Millionen Mark Entschädigung erhielten, konnten die Aktionäre allein im letzten Jahr 154 Millionen abkassieren. Kommen die Immobilien noch hinzu, dürfte es im nächsten Jahr noch besser für sie ausschauen. „Die Rückgewinnung des Ostvermögens wird im laufenden Geschäftsjahr einen zentralen Schwerpunkt der Tätigkeit bilden“, hatte der Konzern auf seiner letzten Jahreshauptversammlung angekündigt.