Mit dieser Kammer nicht mehr an einem Tisch

■ Zwei Schöffen weigern sich aus Gewissensgründen, dem Skandalrichter Orlet beizusitzen / Das Gesetz sieht diesen Fall nicht vor / Schöffen können bestraft werden

Der wegen seines skandalösen Deckert-Urteils berüchtigte Mannheimer Richter Orlet hat weiter Probleme. Er wird von einem Anwalt als befangen abgelehnt, zwei SchöffInnen weigern sich, mit ihm zusammen zu Gericht zu sitzen. Einen solchen Fall hat es noch nie gegeben. Dr. Stanislaus Stepien (46), seit zwei Jahren Schöffe am Landgericht, begründet seine Weigerung

taz: Sie und eine weitere Schöffin haben die Zusammenarbeit mit Richter Orlet aufgekündigt. Wann und in welcher Form?

Dr. Stanislaus Stepien: Schon seit August war mir klar, daß ich mit dieser Kammer, und zwar mit allen drei Mitgliedern, nicht mehr an einem Tisch sitzen kann. Mit Richtern, die in dieser Weise einem Rassisten und Auschwitz- Leugner den Rücken stärken und ihm bescheinigen, daß er verantwortungsvoll etwas für die Gesellschaft geleistet habe, kann ich nicht zusammenarbeiten. Da kenne ich keine Kompromisse. Als ich Anfang Dezember erfahren habe, daß ich 1995 in zwei Verfahren bei der 6. Kammer als Schöffe eingesetzt werden sollte, habe ich am 23. Dezember einen Brief an den Landgerichtspräsidenten geschrieben, in dem ich gefordert habe, mich von diesen Terminen freizustellen. Begründet habe ich dies auch mit meiner persönlichen Biographie. Ein großer Teil meiner Vorfahren ist im Faschismus grausam geknechtet und umgebracht worden. Und zwar genau in den Konzentrationslagern – Auschwitz, Chmelno und Sobibor –, von denen die Holocaust-Leugner behaupten, es seien gar keine Vernichtungslager gewesen.

Der Fall, daß ein Schöffe aus Gewissensgründen die Zusammenarbeit mit bestimmten Richtern verweigert, ist im Gerichtsverfassungsgesetz nicht vorgesehen. Wie hat der Landgerichtspräsident darauf reagiert?

Bis heute habe ich nichts Schriftliches in der Hand. Der Präsident hat die Angelegenheit schnell an die 2. Kammer, die für Schöffenangelegenheiten zuständig ist, weitergeschoben. Richter Bauer hat mir am Telefon angeboten, mich bei einer ausreichenden Begründung ganz vom Schöffenamt zu entbinden. Das will ich aber gerade nicht. Ich möchte nicht anderen Richtern in den Rücken fallen, die sich ja auch über das Skandalurteil empört haben. Die zweite Möglichkeit, die mir als „Lösung“ angeboten wurde, ist noch weniger akzeptabel: ich solle bei der 6. Kammer selbst einen Antrag wegen meiner eigenen Befangenheit stellen. Im Klartext heißt das letztlich: Orlet entscheidet über Orlet – eine üble Glosse, das mache ich nicht mit! Ich werde mich auch nicht krank melden oder andere Vorwände suchen. Das Problem hat jetzt das Gericht, nicht ich. Einen solchen Fall hat es in der Rechtsprechung überhaupt noch nicht gegeben.

Wer sich den „Obliegenheiten des Schöffendienstes entzieht“, so steht es im Gesetz, kann sogar bestraft werden. Hat man Ihnen damit schon gedroht?

Die Höhe der Strafe ist schon bekannt, aber eine Begründung hat man noch nicht. Ich werde nicht hingehen, und wenn man gegen mich ein Ordnungsgeld verhängen sollte, werde ich auch das nicht zahlen.

Schöffen haben untereinander kaum Kontakt. Wie viele müßten Ihrem Beispiel folgen, um diese Skandalkammer praktisch arbeitsunfähig zu machen?

Ich habe nicht einmal gewußt, daß eine andere Schöffin ebenfalls die Zusammenarbeit mit dieser Kammer verweigert. Aber jetzt ist etwas in Bewegung geraten. Ich appelliere an alle Schöffen, es uns gleichzutun. Interview: Barbara Ritter

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