Der feste Bund der treuen Freunde

Ein erregter Kanzler verteidigt im Bundestag die Appeasement-Politik der Regierung im Tschetschenien-Konflikt / Warum kam der deutsche Protest so spät?  ■ Aus Bonn Hans Monath

Was die Bombardierung und Zerstörung von Grosny über lange Zeit nicht bewirkte, das gelang gestern der Opposition im Deutschen Bundestag: Sie brachte Helmut Kohl dazu, sich in aller Öffentlichkeit aufzuregen. „Ich bin Ihnen doch nicht Rechenschaft schuldig!“ donnerte der sichtlich nervöse Bundeskanzler Zwischenrufern entgegen, die ihn wegen seiner Telefongespräche mit Duzfreund Boris Jelzin hartnäckig bedrängten. Den Affront gegen die Rechte des Parlaments milderte Kohl im Nachsatz etwas ab: „Ich habe die Verantwortung als deutscher Bundeskanzler, und ich rede dann und zu dem Zeitpunkt, wenn ich das für richtig halte.“

Die Nervosität des Kanzler war in der Sache begründet. Denn die Verteidigung der allzu späten und anfänglich nur matten Reaktion der Bundesregierung auf das Niederschießen der tschetschenischen Hauptstadt Grosny durch russisches Militär stellte gestern wahrlich keine leichte Aufgabe dar – zumal der Unmut über das Schweigen und die offiziellen Verständniserklärungen für die russische Machtpolitik in den vergangenen beiden Wochen auch bis in die Reihen der Koalitionsparteien hinein reichte.

Außenminister Klaus Kinkel (FDP) konnte sich zwar breiter Unterstützung im Plenum sicher sein, als er die russische Regierung aufforderte, das Blutvergießen in Tschetschenien zu beenden, nach einem Waffenstillstand über eine Autonomieregelung für die aufständische Provinz zu verhandeln und die Möglichkeiten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) voll auszuschöpfen. Ungetrübte Einigkeit bestand auch darin, daß weder ein Auseinanderfallen der russischen Föderation noch Hindernisse für den Reformprozeß im Interesse der Bundesrepublik sein könnten.

Der CDU-Außenpolitiker Karl Lamers erntete zudem kaum Widerspruch für seine Behauptung, die Alternativen zum Handeln der deutschen Außenpolitiker gegenüber Moskau seien im Moment nicht groß, die Opposition könne kaum konkrete Gegenvorschläge unterbreiten, wie nun von Bonn aus auf die russische Regierung eingewirkt werden solle.

Eigentlicher Streitpunkt war gestern die „unverantwortliche Beschwichtigungspolitik“ (Rudolf Scharping) des Kanzlers und des Außenministers in den vergangenen Wochen. „Weggehört und weggesehen“ hätten sie, konstatierte Norbert Gansel (SPD). Der Vorwurf der Opposition lautete in der Formulierung von Grünen- Fraktionssprecher Joschka Fischer: „Hat die Haltung des Westens und der Bundesregierung dazu beigetragen, daß in Moskau der Eindruck entstand: Wir haben freie Hand und können dort zuschlagen?“

Das Regierungsargument, wonach lauter deutscher Protest den Feinden der Demokratie in Moskau in die Hände arbeite, stieß auf heftigen Widerspruch. Wer Demokratie anmahne und öffentlich die Einhaltung internationaler Verträge fordere, wie sie die russische Regierung eingegangen sei, leiste keiner Destabilisierung Rußlands Vorschub und stärke auch die internationalen Organisationen, hielt SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping gegen die Regierung fest.

Die Bundesregierung soll nach dem Willen der Oppositionsabgeordneten endlich die demokratischen Kräfte in Rußland stärken, die sich offen gegen den Krieg wenden. Kohl weigerte sich, dieser Argumentation zu folgen und Jelzin für die Destabilisierung Rußlands verantwortlich zu machen. Den Duzfreund verteidigte er auch gestern als einen Garanten der Demokratisierung. Jelzin sei „der erste frei gewählte Präsident Rußlands“ und zudem belastet mit dem Erbe einer fast 80jährigen Diktatur. Auf seine Freundschaft zu Jelzin ist Kohl immer noch stolz: „Was wäre ich für ein Zeitgenosse, wenn einer meiner Freunde in Schwierigkeiten geraten würde und ich dann nicht zu ihm stehen würde?“