Den schönen Frauen zugewandt

Der rote Architekt Hermann Henselmann: Ein Romantiker des Sozialismus  ■ Von Rolf Lautenschläger

Der 82jährige Baumeister Henselmann, Architekt der Stalinallee und des Ostberliner Fernsehturms, schreibt in winzig kleiner Schrift Meldungen auf ein riesiges Stück Papier und unterhält die Belegschaft mit den neuesten Anekdoten aus dem realen Sozialismus und humorvollen Heiratsanträgen an die Damen des Hauses.“ Wohl kaum ist Hermann Henselmann, der am vergangenen Donnerstag verstarb (die taz berichtete), treffender gespiegelt worden, als in dem Porträt von Vera Gaserow in der taz vom 12. Oktober 1987.

Wie andere Schriftsteller und Künstler auch, darunter Hans Magnus Enzensberger, Elfriede Jelinek oder Heiner Müller, gehörte Henselmann zur „Belegschaft“ der „Dichter-taz“, die während der Frankfurter Buchmessezeit drei Tage lang das Zeitungsmachen probten. Dabei soll, so die Legende, das Alkoholregal des benachbarten Supermarktes leergesoffen worden sein. Allein Henselmann, den Blick der Zukunft und den schönen Frauen zugewandt, hielt sich zitternd an Milch.

Es ist bekannt, daß der einzige sogenannte Stararchitekt der DDR gern den Frauenfreund und Geschichtenerzähler, Aufschneider und Vordenker mimte. Noch wenige Monate vor seinem Tod gab er im Berliner Stadtforum – einem Planungsgremium mit Architekten und Politikern, die über die Stadtentwicklung der Hauptstadt beraten – eine Vorstellung. Auf den Stock gestützt, dachte er das zerklüftete Berlin vorwärts. Henselmann sprach über Konstruktion und Prostitution, Goethe, Marx und sich selbst, den rechten Winkel sowie über Unterwäsche. Ulbricht und Architektur der Freiheit waren ebenso Thema wie die Farbfindung des ZK zum „Trabant“. „Das ZK fand die Farben von Damenschlüpfern damals gut.“ Als umtriebigen Geist, der „ewig auf Tatendrang“ aus sei, beschrieb Rolf Kuhn, Direktor am Dessauer Bauhauses, den Alten. An anderer Stelle verglich sich der Staatsarchitekt mit Pöppelmann oder Michelangelo. Er tat dies nicht nur aus Größenwahn, sondern auch, um die Beziehungen, Abhängigkeiten, ja Unterwerfungen zwischen Architekt und Bauherr zu illustrieren. „Wie Michelangelo den Papst brauchte, brauchte ich Ulbricht und der mich.“ Bis zuletzt blieb Henselmann ein romantisch eingefärbter Sozialist.

Es ist keine Frage, der kleine Mann mit der winzigen Schrift auf dem großen Papier hatte riesige Pläne. Hermann Henselmann verkörperte die Baugeschichte der DDR in ihren heroischen Phasen, jenseits des prosaischen Alltags aus Plattenbauten. Er zeichnete für die Stalinallee (1952 bis 1958) – jenes monumental-ekletizistische Ideologieobjekt für 3.000 Wohnungen aus sowjetischem Zuckerbäckerstil und „nationalem Erbe der Schinkelzeit“ – verantwortlich, auch wenn er allein nur die beiden Plätze Strausberger Platz und Frankfurter Tor realisierte. Kam seine bauliche Handschrift noch Monate vorher in strenger „formalistischer“ Bauhausmanier daher, so avancierte Henselmann bereits während der Planung zum Fürsprecher der „ersten sozialistischen Straße“. „Die Stalinallee“, und das ist wieder eine seiner Geschichten, „war der Wunsch der Politiker und meiner. Mein Ratgeber Brecht sagte, die Städte, die ihr bisher gebaut habt, sind für die Statistik, aber nicht für die Geschichte. Ihr müßt eine Stadt bauen für die Geschichte (...), in der das Proletariat, das in den Hinterhöfen wohnte, jetzt in den Vorderhäusern lebt. Es wurde eine Lotterie gemacht, und wer am meisten geholfen hatte, Trümmer aufzuräumen, kriegte 'ne Wohnung. (...) Und sogar die Schwester von Dulles kam aus Amerika, um sich das anzusehen.“ Es galt eine Utopie zu bauen: die Stalinallee als ein großer, repräsentativer Boulevard auf den Trümmern des Krieges für vom Kapitalismus befreite Menschen. Heraus kaum eine protzige Achse, deren Häuser mit neoklassizistischem Dekor und Pathos überladen wurden. Sicher, die Wohnungen waren hell und billig, aber die Schneise erinnert noch immer mehr an Speer als an Schinkel.

Henselmann kehrte nach der Stalinallee (und ähnlichen Repräsentationsbauten in der Provinz) dahin zurück, wo er als Baukünstler herkam. Der 1905 in Roßla Geborene hing seit den 20er Jahren an den Idealen der klassischen Moderne. Im schweizerischen Montreux baute er 1932 eine modernistische Villa als Hommage an Le Corbusiers: elegant, und weiß, ein klares Haus mit Flachdach und Glasfassaden am Hang zum Genfer See. Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete Henselmann die Hochschule in Weimar. Ab 1953 besetzte er den Posten des Ostberliner „Chefarchitekten“. 1966 bis 1970 leitete er das Städtebauinstitut der Bauakademie. Obwohl „gerade mal wieder in Ungnade gefallen wegen der Idee für den Fernsehturm“, spielte er weiter den ideologischen Souffleur. Noch Anfang der sechziger Jahre redete Henselmann Ulbricht die moderne Architektur – in großangelegter industrialisierter Typenbauweise – wieder ein, um der Wohnungsfürsorge nachzukommen. Sein Haus des Lehrers (1962/63) am Alexanderplatz bildete den Auftakt zu einer Reihe von Betonbauten im kühlen Stil der Standardmoderne. Henselmanns Berliner Kongreßhalle (1964–1966) aus Glas/Beton und Stahl zählt dabei noch zu den besten Arbeiten. Weniger elegant erscheinen dagegen das Hochhaus der Leipziger Universität (1968), dessen spitze Winkel toten Raum erzeugen, und die Bebauung des Berliner Leninplatzes (1969) an einer überdimensionierten Straße mit unwirtlichen Freiflächen.

Die Rezeption seines eigenen ×uvres beeinflußte Henselmann natürlich wie alle eitlen alten Männer. Während der Architekt nichts gegen den Umbau des Leninplatzes hatte, verhielt er sich bei der Stalinallee und dem Ostberliner Fernsehturm (1969) bockig und starrsinnig. Mit ganzem Machtanspruch wie in früheren Zeiten verteidigte der Genosse Henselmann die Idee der Stalinallee. „Was ich baue, bleibt“, sagte er zu Kritikern der Achse, die dem Denkmal an den Kragen wollten. Spektakulär blieben auch seine Auftritte gegen Kollegen, die wie er Anspruch auf den Bau des Ostberliner Fernsehturms erhoben. „Ich habe damals im Politbüro erklärt, daß die Zukunft aus drahtloser Information über das All bestehen wird“, tönte er vor einem Jahr in einem Interview. „Daher meine Idee vom ,Turm der Signale‘“ (1959) – einem schweifartigen Schaft mit Sputnik- Kugel an der Spitze. Knallhart wollte er noch wenige Wochen vor seinem Tod per Gerichtsbeschluß die Miterbauer ausbooten. Auf dem großen Blatt sollten nur er, seine Geschichten und seine spektakulären Entwürfe Platz haben.