Großartige Fehler rekonstruiert

■ Walter Gropius‘ Meisterhaus in Dessau wiederhergestellt

Dessau und das Bauhaus: Nur etwas mehr als sieben Jahre, vom März 1925 bis zum September 1932, sollte die Beziehung dauern. Doch diese sieben Jahre genügten, der Stadt ein für allemal den Ruf als Zentrum der klassischen Moderne zu sichern. Von dem architektonischen Erbe, das ihr das Bauhaus hinterlassen hat, zehrt Dessau bis heute.

Das 1928/29 von Walter Gropius errichtete ehemalige Arbeitsamt: Nach wie vor ist es einer der markantesten Orientierungspunkte der Stadt. In den ebenfalls vom Bauhaus-Gründer selbst entworfenen, 1975/76 restaurierten Werkstätten der Kunstschule arbeitet seit einem halben Jahr die Stiftung Bauhaus Dessau. Sie hat sich der ökologischen Erneuerung der Industrieregion rund um Bitterfeld verschrieben.

Die vier sogenannten Meisterhäuser – ein Einzelhaus und drei Doppelhäuser –, die Gropius 1925/26 für sich und den engsten Kreis der Bauhaus-Lehrer rund zweihundert Meter von den Werkstätten entfernt gebaut hatte, fristeten dagegen ein bislang eher trauriges Dasein. Das Direktorenhaus und eine der Doppelhaushälften waren im Zweiten Weltkrieg sogar so schwer beschädigt worden, daß sie abgerissen werden mußten. Die beiden erhaltenen Doppelhäuser, mittlerweile in städtischem Besitz, wurden nach dem Krieg umgebaut. Die intakte Hälfte des dritten Doppelhauses nutzte man ab den fünfziger Jahren als Ärztehaus und Poliklinik.

Erst nachdem die Klinik 1991 geschlossen wurde, bot sich dem Dessauer Denkmalamt die Gelegenheit, die Doppelhaushälfte, in der einst Lyonel Feininger gewohnt hatte, originalgetreu zu rekonstruieren. Seit kurzem ist das Ergebnis der rund dreijährigen Wiederinstandsetzungsarbeiten der Öffentlichkeit zugänglich. Und man muß sagen: Es ist durch und durch überzeugend ausgefallen. Genoß die DDR-Denkmalpflege bei Experten schon immer einen ausgesprochen guten Ruf, so haben Wolfgang Paul, langjähriger Leiter des Dessauer Denkmalamtes, und seine Mitarbeiter mit dieser 1,8 Millionen Mark teuren Rekonstruktion eine architektonische Attraktion von internationalem Rang auferstehen lassen.

Um den ursprünglichen Zustand des Baudenkmals wiederherzustellen, mußten die Restauratoren zahlreiche nachträgliche Umbauten rückgängig machen. Im Inneren des Gebäudes hatte man in den Jahren nach dem Krieg Grundrisse geändert, das ganze Treppenhaus war verlegt worden. Am augenfälligsten waren diese Veränderungen neben der gewandelten Treppe an den Fenstern des ehemaligen Ateliers. Die ehemals sich weit öffnenden Fensterflächen waren zugemauert worden. Und damit fingen die Schwierigkeiten an: Anhand von Plänen und historischen Fotos bemerkten die Denkmalpfleger bald, daß das große Atelierfenster eine recht labile Konstruktion gewesen sein mußte. Die Verstrebungen waren so dünn, daß sie das Fenster nicht ausreichend versteiften. Nun hätte man es sich einfach machen und ein nach heutigen Maßstäben stabiles Fenster einsetzen können. Leider sind solche Ungenauigkeiten in der Denkmalpflege durchaus gängige Praxis.

Doch die Dessauer Denkmalschützer taten das einzig Richtige. Nach langer Suche fand sich schließlich einen Metallbauer, der imstande war, die instabile Sonderanfertigung zu liefern. Vor einem ähnlichen Problem standen die Restauratoren, als es an die Wiederherstellung des Kamins ging. Gropius hatte den Abzug viel zu niedrig konzipiert: Bei bestimmten Witterungsverhältnissen zog der Rauch nicht ab. Der Kamin war daher in späteren Jahren um etwa einen Meter erhöht worden. Paul ließ ihn den Fehler nachbauen, auch auf die Gefahr hin, einer unzureichenden Konstruktion zu neuerlicher Ehre zu verhelfen. Marginalien? In der Denkmalpflege sind es gerade die vermeintlichen Kleinigkeiten, die über Gelingen oder Scheitern einer Baumaßnahme entscheiden. Die Bauhaus-Architektur sei, so Wolfgang Paul, zum Großteil Experimentalarchitektur gewesen, die nicht für alles und jedes die entsprechenden und erprobten Normen kannte. Sich daran orientiert zu haben ist das große Verdienst der Dessauer Rekonstruktion.

Eine absolute Überraschung ist die Farbgebung im Inneren des Gebäudes. Aus Aversion gegen „einen überholten, altmodischen Begriff von Gemütlichkeit“ hatte Gropius für die Innenräume puristisches Weiß vorgesehen. Dem Maler Feininger ging das gegen den Strich – er ließ die Wände seiner Wohnung im nachhinein stark farbig übertünchen. So dominiert jetzt im Eingangsbereich mattes Graugrün, das Wohnzimmer ist bis auf eine einzige rote Wand ganz in stumpfem Schwarz gehalten. Der Treppenaufgang wurde komplett blau bemalt, lediglich die Handläufe leuchten intensiv rot. Für die übrigen Räume hatte Feininger überwiegend grünes, gelbes und türkises Kolorit verwendet – die Restauratoren fanden insgesamt mehr als vierzig verschiedene Farbtöne an den Wänden, die Bestandsanalyse umfaßt sechs prallgefüllte Aktenordner. Auch von außen läßt sich Feinigers gestalterischer Eigensinn heute wieder ablesen: Die Längsseiten der Fensterhöhlen strahlen in stechendem Ultramarin. Ulrich Clewing