Ein UNO-Rückzug und seine ungewissen Folgen

Warum will der kroatische Präsident Tudjman, das UNO-Mandat für Kroatien nicht verlängern?  ■ Aus Zagreb Erich Rathfelder

Nebel und Schnee verdunkeln die trüben Januartage in der kroatischen Hauptstadt Zagreb. Und doch scheint es, als sei ein Ruck durch die Bewohner der Millionenstadt gegangen. Schon lange sei nicht mehr so viel politisch diskutiert worden, sind sich viele einig. „Es ist wie ein Befreiungsschlag“, sagt die ehemalige Lehrerin Baka S., als sie über die Forderung des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman spricht, die UN-Truppen aus Kroatien abzuziehen. Zwar steht die überzeugte Kommunistin in den meisten anderen politischen Fragen in Opposition zu Tudjman, hier jedoch ist sie mit ihm einer Meinung. Es ginge doch wirklich nicht mehr an, daß ein Viertel des Landes von den Serben besetzt sei. „Die UNO schützt die serbischen Extremisten in der Krajina, anstatt sie zu entwaffnen.“

Mit seiner Ankündigung, Kroatien werde das UNO-Mandat für die Stationierung von UNO-Truppen in Kroatien, das am 31. März 1995 ausläuft, nicht mehr verlängern, „hat Tudjman innenpolitisch Pluspunkte gesammelt und seine wacklige Position gestärkt“, erklärt der Philosophieprofessor Zarko Puhovski.

In dem vollbesetzten Café am Jelaćić-Platz, dem Zentrum Zagrebs, lesen die Menschen aufmerksam die Zeitungen. Viele Kommentatoren beschäftigen sich mit der Frage, ob nun ein neuer Krieg kommt. Und auch der Professor meint: „Tudjman pokert ziemlich hoch.“ Andererseits gebe es nun fast keine Opposition mehr, fast alle Oppositionsparteien hätten Tudjmans Schritt begrüßt. Alle wünschten, daß die Souveränität Kroatiens in den besetzten Gebieten wiederhergestellt würde. Und die Vertriebenen drängten darauf, in ihre Heimat zurückzukehren.

Die Spekulationen, was Tudjman wohl mit seiner Ankündigung bezweckt, schießen in Zagreb ins Kraut. Er wolle die UNO zwingen, ihr Mandat zu verändern, so daß sie härter in den besetzten Gebieten vorgehen könne, sagen die einen. Er wolle lediglich die serbische Führung in Belgrad zwingen, direkte Verhandlungen über die Krajinafrage aufzunehmen, sagen die anderen. Scheiterten beide Optionen wäre ein neuer Krieg in Kroatien aber unausweichlich, meint Zarko Puhovski. „Es wäre besser gewesen, sich grundsätzlich zu fragen, wie man den Krajina- Serben den Weg zurück in den kroatischen Staat auf friedliche Weise hätte ebnen können.“

Wie soll dies aber geschehen mit einer serbischen Führung in den besetzten Gebieten, die nicht nur nach Meinung vieler kroatischer Journalisten aus Kriminellen und Kriegsverbrechern besteht. „Die 200 führenden Leute dort brauchen den Krieg. Selbst wenn die Krajina als autonome Region nach Kroatien zurückkehrte, könnten diese Extremisten wohl nicht mehr bleiben“, ist eine gängige Meinung.

Nicht weit vom Hauptplatz Zagrebs entfernt liegt in einer kleinen Straße versteckt das Zentrum der noch in Zagreb lebenden 80.000 Serben. Milorad Pupovać, Vorsitzender des „Serbischen Demokratischen Forums“, möchte auf solche Vorwürfe gegenüber der Führung der Krajina-Serben nicht eingehen. Dem schon vor dem Krieg für friedliche Lösungen eintretenden Intellektuellen sind jedoch Sympathien für diese Leute kaum zu unterstellen.

Pupovać hält erfolgreiche Verhandlungen nur dann für möglich, wenn die kroatische Regierung begreife, „daß sie die Serben Kroatiens als integralen und gleichberechtigten Bestandteil der Gesellschaft zu behandeln habe“. Die im November geschlossenen Verträge mit der Krajina müßten umgesetzt und Gespräche mit Belgrad aufgenommen werden.

Auch im Hauptquartier der UNO sind die Verträge, die immerhin ermöglichten, die Autobahn Zagreb-Belgrad in Kroatien zu öffnen, ein Hinweis auf den Erfolg der mühsamen und langwierigen Verhandlungsrunden. „Die UNO kann nur auf friedliche Lösungen drängen, sie aber nicht mit Gewalt herbeiführen“, meint Peter Williams, der Pressesprecher im UN-Hauptquartier. Eine Veränderung des Mandates sei vom Weltsicherheitsrat bisher nicht geplant. Gerade dies wird aber auch bei UN-Offiziellen kritisiert. „Mir gefällt, daß Tudjman etwas in Bewegung brachte“, erklärt ein US- amerikanischer Mitarbeiter. Und Chris Gunness, ebenfalls offizieller Sprecher der UNO, gibt offen zu, daß die Mission der UN in Kroatien bisher gescheitert ist. Die Vereinten Nationen müßten sich jetzt auf einen Rückzug vorbereiten. „Von verschiedenen Regierungen der Nachbarstaaten sind schon Angebote bezüglich der Verlegung des Hauptquartiers gemacht worden“, gibt Williams preis.

In der kroatischen Regierung spielt man die Aufregung etwas herunter. Für Außenminister Mate Granić ist die Aufkündigung des UN-Mandates in Kroatien auch ein Schritt, endlich zu Verhandlungen mit Serbien über die gegenseitige diplomatische Anerkennung zu kommen.

Ist die Aufkündigung der UNO- Präsenz in Kroatien somit nur ein taktischer Zug in dem großen Spiel um die Annäherung an Serbien? Daß die Belgrader Führung bisher ruhig blieb, ist für manche Kritiker ein Zeichen, daß es um etwas ganz anderes geht. Stipe Mesić, der frühere Vorsitzende des kroatischen Parlaments und der letzte Präsident Jugoslawiens, sieht in Tudjmans Ankündigung sogar ein Zusammenspiel mit Belgrad. Wenn die UN-Truppen sich zurückzögen, wäre der Weg frei für eine Teilung Bosniens zwischen Serbien und Kroatien, so wie sie schon einmal im Frühjahr 1991 von Tudjman und dem serbischen Präsidenten Milošević in Karadjordjevo besprochen worden ist. Die erneut steigenden Spannungen zwischen Kroaten und Muslimen in Bosnien deuteten in diese Richtung. „Die kroatischen Extremisten blockieren die Entwicklung der bosnisch- kroatischen Föderation in Bosnien. Entgegen ihrer offiziellen Politik schwächt die kroatische Führung die Allianz mit den Muslimen zugunsten einer Regelung mit Belgrad“, ist die Position des Expräsidenten. Im Gegenzug solle Belgrad die Krajina-Serben bewegen, Konzessionen an Kroatien zu machen. Die Weichen, so ein kroatischer Militär, seien nicht auf Krieg, sondern auf einen „ungerechten Frieden“ gestellt.