„Wir können noch nicht gewinnen“

Rabah Kebir, in Deutschland lebender Auslandsvertreter der „Islamischen Heilsfront“ (FIS), sucht für Algerien eine politische Lösung  ■ Aus Köln Willi Germund

Der 39jährige Rabah Kebir hat eine hochmoderne Armbanduhr voller Knöpfe. Zu jeder vollen Stunde übertönt ihr Piepsen die leise Stimme des Physiklehrers und islamischen Predigers, der sich mit dickem Schal gegen das Kölner Winterwetter schützt. Für Algeriens Regime stellt der Mann, Vater von fünf Kindern, den Erzterroristen dar. Kebir ist Auslandsrepräsentant der „Islamischen Heilsfront“ (FIS), jener Partei, die in Algerien 1991 die Wahlen gewann und anschließend verboten wurde.

Algeriens Regierung bemüht sich nach Kräften, Kebir in das Klischee des Fundamentalisten zu pressen. Der Prediger, der als Ministerpräsident einer FIS-Regierung im Gespräch war und ist, strengt sich nicht minder heftig an, dem Bild des rationalen Politikers zu entsprechen. „Die Militärs“, sagt er, „können den Krieg in unserem Land nicht gewinnen. Und wir können mit unserem Widerstand nur nach sehr langer Zeit siegen. Die FIS ist vernünftig, und deshalb versuchen wir, eine Lösung zu finden.“ Solche Aussagen sind bei vielen Vertretern von Untergrund- und Befreiungsbewegungen zu hören. Während der Bürgerkrieg in Algerien bereits 40.000 Menschenleben gefordert haben soll, findet außerhalb des Landes ein erbitterter Propagandafeldzug statt.

Die Regierung von Algier wechselte während der vergangenen Wochen 35 Botschafter aus. Auch in der Bonner Vertretung amtiert ein neuer Chef. Der präsentierte den deutschen Behörden Unterlagen, die beweisen sollen, daß Kebir und die FIS von deutschem Boden aus Waffenhandel betreiben. Für Algeriens Regierung steht fest: Seit Kebir nach dem FIS-Verbot nach Deutschland floh, dient das Land als ein Zentrum des islamistischen Widerstands.

Dem Islamistenführer droht in seiner Heimat die Todesstrafe. Doch sein Asylgesuch in Deutschland bringt nicht nur Probleme. Im Gegenteil: Bisher fiel kein einziger Deutscher Terroranschlägen in Algerien zum Opfer. Dabei verstärkten sich 1994 sogar die Handelsbeziehungen. Obwohl Algeriens Opposition versucht, Algerien wirtschaftlich zu isolieren, sagt Kebir: „Die Deutschen handeln nicht gegen das algerische Volk.“

Solche Freundlichkeiten riechen nach geheimen Abmachungen zwischen Bonn und der FIS – Vermutungen, die Kebir ebenso weit von sich weist wie Anschuldigungen des Waffenschmuggels. „Ich werde so gut überwacht, daß die deutsche Polizei entsprechende Beweise besitzen müßte“, sagt er und fügt, ganz Politiker, hinzu: „Die FIS wird nie den algerischen Kampf auf deutschem Boden austragen.“

Bei anderen Gruppen scheint er sich nicht so sicher zu sein. Nervös hält ein Begleiter die Eingangshalle des Kölner Hotels im Auge, in der die Begegnung stattfindet. Mißtrauisch werden Gäste beäugt, die sich in Nachbarsesseln niederlassen. Das wird so erklärt: Zwei andere wichtige Vertreter der algerischen Islamisten seien bereits in Frankfurt und Düsseldorf ermordet worden.

„Ich glaube, daß Christen und Muslime friedlich zusammenleben können“, sagt Kebir. Eine Botschaft der Toleranz, von der gegenwärtig in Algerien wenig zu spüren ist. Intellektuelle, die nicht auf den Kurs der Islamisten einschwenken, werden ermordet. Katholische Geistliche in Algier flüchten sich Nacht für Nacht in den Sitz des Kardinals – im Dezember waren vier Priester umgebracht worden. Kebir, dessen FIS sich im Gegensatz zur radikaleren Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA) mit Anschlägen auf militärische und staatliche Ziele beschränkt, weist jede Mitverantwortung für solche Morde von sich: „Wer kann denn sagen, ob nicht die Militärs hinter solchen Taten stecken?“

Die katholische Kirchengemeinde Sant' Egidio in Italien, die schon in Mosambik Frieden stiftete, veranstaltete vor zehn Tagen ein Treffen, an dem alle politischen Parteien Algeriens teilnahmen und gemeinsam der Militärregierung Verhandlungen anboten. „Das ist eine Friedensofferte“, sagt Kebir, „wenn die Regierung sie ausschlägt, kann dies nur eines bedeuten: Dann will sie die totale Zerstörung des Landes. Der Westen muß deshalb Druck ausüben.“ Nur zögernd gibt Kebir schließlich auch zu: „Ich glaube, daß bei einem seriösen Frieden alle Bereiche der Opposition eine Vereinbarung annehmen würden. Aber wenn die Regierung das Angebot ausschlägt, wird es natürlich auch beim Widerstand zu einer Radikalisierung kommen.“