Unter deutscher Steinkohle begraben

Ökologische Steuerreform in Deutschland? Seit der Wahl will niemand mehr davon reden – dabei war sogar der Sachverständigenrat der Bundesregierung dafür  ■ Von Thomas Worm und Niklaus Hablützel

Berlin (taz) – Fast alle wagten einen Flirt mit dem schönen Wort. Was dahintersteckt, ist weitgehend Stückwerk geblieben, obwohl vor allem Grüne und Sozialdemokraten im vergangenen Wahljahr gerne von Energiesteuern mit dem Fernziel einer grundsätzlichen, ökologischen Steuerreform redeten. Teurere Energie und billigere Arbeitskraft sollten in naher Zukunft zwei Grundübel der deutschen Wirtschaft zugleich kurieren: die dauerhafte Arbeitslosigkeit und den ebenso dauerhaften Raubbau an der Umwelt.

Nach der Wahl war die Debatte beendet, die Idee gar einer kombinierten Investitions- und Konsumlenkung durch den Staat schien in der Aufschwungphase des neuen Konjunkturzyklus völlig fehl am Platz. Die neue alte Regierung legte einen Haushaltsentwurf vor, der sich damit begnügt, die wahrlich gigantischen Schuldenlöcher des Staates halbwegs plausibel mit mutmaßlichen Wachstumsgewinnen zu stopfen. Von Reform keine Rede. Dabei hatte selbst das oberste ökonomische Beratergremium der Bundesregierung, der Sachverständigenrat, noch kurz zuvor Sympathie gezeigt. Er bescheinigte neuen Umweltsteuern Unbedenklichkeit – sie seien „ein Schritt in die richtige Richtung“.

Prompt, aber wider besseres Wissen, war der Bundesverband der deutschen Industrie entsetzt. Zu viel grünes Licht machte der scheidende BDI-Chef Tyll Necker aus und holte Zuckerbrot und Peitsche hervor: Einerseits riet er zu vorsichtigem Umdenken, andererseits ließ er per Auftragsgutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft Hiebe austeilen. Fazit: „Eine ökologische Steuerreform ist finanzwirtschaftlich unsolide und steuerpolitisch verfehlt.“ Umweltabgaben dürften höchstens im Rahmen der Europäischen Union erhoben werden.

Dort liegt das Projekt erst recht auf Eis. Zwar hatten sich die EU- Mitglieder einst als Reaktion auf den Umweltgipfel von Rio darauf geeinigt, auch mit fiskalischen Lenkungsinstrumenten die CO2- Emissionen bis zum Jahr 2000 zu stabilisieren. Doch nationale Sonderwünsche blockierten bislang jeden weiteren Beschluß. Offen ist allein schon die Frage, ob es eine reine Energiesteuer, eine CO2-Abgabe oder aber eine Kombisteuer werden solle. So drängen die Atomstromer Frankreichs – drei Viertel der Elektrizität produzieren AKW – auf ein CO2-Modell, von dem sie kaum betroffen wären.

Um den Ausstoß des Klimagases herunterzuschrauben, wäre eine Abgabe auf jede in die Luft gepustete Tonne CO2 das effizienteste Mittel, entsteht doch der Vermeidungsdruck nicht nur indirekt über Energiesteuern. Allerdings weist die CO2-Abgabe auch Nachteile auf. Sie erfaßt nicht die Risikokosten der Atomenergie. Andere Kosten, die durchs Energieverschwenden entstehen, zum Beispiel die Meeresverschmutzung nach Öltanker-Unglücken, fallen ebenfalls durch dieses Raster. Zudem würden Anpassungen an die CO2-Abgabe vor allem dem klimafreundlicheren Einsatz von Gas fördern, der Anreiz zu energiesparenden Innovationen indes käme schwächer zur Geltung.

Seit nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Kohlepfennig als grundgesetzwidrig gilt, wird unter dem Namen „Energiesteuer“ hierzulande lediglich diskutiert, wie denn die subventionierte Verstromung der Steinkohle in voller Höhe weiter finanziert werden könnte. Diese Art der Energieabgabe ist fast unvermeidbar geworden, irgendeinen ökologischen Lenkungseffekt wird sie jedoch nicht haben. Ihr Wortführer für die SPD, Niedersachsens Ministerpräsident Schröder, möchte lediglich einen willkürlich kleinen Teil des neuen Steueraufkommens für eine zeitlich befristete, öffentliche Anschubfinanzierung alternativer Energietechniken nutzen.

Dieser erste Praxistest des Konzepts macht eines deutlich: Die Verwendung der Einnahmen aus ökologisch begründeten Steuern müßte gesetzlich fixiert sein. Damit wäre auch einem zentralen Verweigerungsargument der Industrie die Spitze gebrochen. Bestandteil einer Reform, die diesen Namen verdient, wäre also in jedem Falle eine Kompensation der Steuer zahlenden Firmen und Privathaushalte. Immerhin erwärmen sich immer mehr Verbände und Organisationen für das vom Berliner DIW exemplarisch durchgerechnete Modell, das sogar eine jährlich steigenden Energiesteuer annimmt. Wenn die Lohnnebenkosten der Industrie zugleich abgebaut werden, könnten binnen zehn Jahren eine halbe Million Jobs geschaffen werden, während Energieverbrauch und CO2-Ausstoß um ein Fünftel sinken. Haushalte mit einem Einkommen unter 4.500 Mark hätten durch einen Öko-Bonus sogar mehr in der Tasche.

Tatsächlich reicht die Reihe der Befürworter einer solche Reform vom DGB bis zur AEG. Sie sind in der neuen Kohlendebatte nur verstummt. Neben der ÖTV hatte sich im letzten Jahr auch die IG Metall als weltgrößte Einzelgewerkschaft für die Ökosteuerreform ausgesprochen: für eine „Kompensationslösung, die verteilungs- und sozialpolitisch akzeptabel“ sei. Gerade das Statement der deutschen Metaller ist beachtlich, denn das energieintensive Stahlgewerbe gehört zu den wahrscheinlichen Verlierern der Reform.

Doch der Sachverständigenrat würde als Verfechter von Öko-Abgaben („Elemente einer marktsteuernden Umweltpolitik“) derartige Folgen eines beschleunigten Strukturwandels akzeptieren: „Kostensteigerungen, Produktionseinbußen und Arbeitsplatzverluste“ in den energieintensiven Produktionsbereichen „muß man hinnehmen“, hieß es 1994 in einer Stellungnahme. Die Sachverständigen, die eine CO2-Steuer vorziehen, sehen auch für private Haushalte „Einkommenseinbußen, die ihnen durch höhere Preise für umwelt- und energieintensive Güter abverlangt werden“. Eine vollständige Kompensation von Verbrauchern und Firmen könne nicht gelingen, sei aber auch aus Lenkungsgründen unerwünscht.

Tom Sommerlatte vom Bundesverband der Unternehmensberater, die Gruppe „Unternehmens- Grün“ und der BUND gemeinsam mit 16 Großfirmen fordern, das Steuereinkommen müsse vollständig für Innovationen der Industrie ausgeschüttet werden. Sozialdemokraten und Grüne wollen eher auf staatlichem Wege umweltverträglichen Strukturwandel fördern, wo klimakillende Dinosaurier wie Chemie und Stahl in die Knie gehen könnten. Sie meinen, soziale Härten seien so am ehesten vermeidbar.

Sollte Deutschland international den Reform-Vorreiter spielen, ist in der Tat kaum auszuschließen, daß besonders gebeutelte Energieschlucker ins Ausland abwandern. Trotzdem hält sogar FDP-Wirtschaftsminister Günter Rexrodt den deutschen Alleingang für denkbar, solange man sich von der EU nicht „zu weit“ entferne. Das Berliner DIW und das Finanzwissenschaftliche Institut der Universität Köln untersuchen zur Zeit im Auftrag des Umweltbundesamtes, wie sich Öko-Abgaben in den Gesamtumbau des Steuersystems einfügen ließen.