Erst mal ins Kloster zum Nachdenken

Bischof Jacques Gaillot, der vom Vatikan geschaßt wurde, verabschiedete sich von seiner Diözese / Zehntausende Gläubige reisten an / Für den kommunistischen Bürgermeister ist Gaillot ein Engel  ■ Aus Evreux Dorothea Hahn

Danke“, tönt es aus den blauen Lautsprechern. „Danke“ – und die Stadt verstummt. Die sanfte Stimme kommt aus der Kathedrale, wo der vom Vatikan geschaßte Bischof Jacques Gaillot an diesem Sonntag nachmittag seine Abschiedsmesse zelebriert. Dünne Kabel transportieren seine Botschaft quer durch das Zentrum der normannischen Kleinstadt Evreux. Im Eingang des Möbelgeschäfts am Ende der Einkaufsstraße drängt sich eine Handvoll Menschen um eine blaue Box und lauscht. Vor der Brasserie – ein paar Meter weiter – hat sich die nächste Gruppe versammelt.

„Habt keinen Haß, keine Angst in euch“, sagt ihr Bischof, „dies ist ein Festtag, ein Tag der Freude.“ Der zierliche kleine Mann mit dem warmen Lächeln um die Augen hat sich für diesen Tag besonders schön gemacht. Die goldenen Pailletten seines gelben Meßgewandes leuchten, während er seine BesucherInnen in der wuchtigen Sandsteinkirche mit Umarmungen und Küssen begrüßt. 1.500 Menschen passen in das Gotteshaus, aus dem alle Stühle und die Weihnachtskrippe weggeräumt wurden. Tausende stehen draußen, in strömendem Regen und eiskaltem Wind.

Aus dem Lautsprecher hören sie, wer Einzug hält. Gaillots 88jährige Mutter kommt zu der Abschiedsmesse. Eine Gruppe von Obdachlosen aus Paris. Rollstuhlfahrer, afrikanische Flüchtlinge, die Gründer der Organisation „SOS Racisme“, eine Delegation der Selbsthilfegruppe HIV-Positiver „AIDES“, Mönche. Als der Lautsprecher vier französische Bischöfe nennt, die gekommen sind, brandet Beifall auf. „Die sind mutig“, sagt eine alte Dame mit durchsichtigem Plastikhäubchen, die im Bus aus der Bretagne angereist ist.

„Als ich 1982 Bischof von Evreux wurde, blieben viele Plätze in der Kathedrale leer, heute benötigen wir die Straße rund um die Kirche, so viele Menschen sind gekommen“, läßt Gaillot sein „Volk Gottes“ wissen. Der erfahrene Redner, ein beliebter Gast französischer Medien, muß immer wieder innehalten, sich räuspern. Er spricht von dem „Respekt der Freiheit“, dem „Recht, anders zu sein“ und dem „auf Demokratie“. Als er die katholische Gemeinschaft als „Kirche der Ausgeschlossenen, nicht die des Ausschlusses“ bezeichnet, unterbricht Applaus die Predigt.

Erst neun Tage ist es her, daß Gaillot seine Vorladung zum Gespräch im Vatikan hatte. Ein Kardinal und zwei Bischöfe teilten dem 59jährigen mit, daß ihm seine Diözese entzogen werde. Der „rote Bischof“, der PazifistInnen unterstützt, KurdInnen vor Abschiebung bewahrt, das Zölibat kritisiert, den Gebrauch von Präservativen rechtfertigt und Frauen, die abgetrieben haben, nicht verurteilt, war dem Vatikan zu gefährlich geworden.

„Das ist eine politische Affäre. Da steckt Innenminister Charles Pasqua dahinter, der hat sich beim Papst beschwert“, sagt Roland Plaisance, dessen Amtssitz nur 100 Meter von dem seines Freundes, des Bischofs, entfernt ist. Der 69jährige ist seit 1944 Mitglied der Kommunistischen Partei, seit 42 Jahren sitzt er im Rathaus der 50.000-EinwohnerInnen-Stadt, seit 1977 ist er ihr Bürgermeister.

„Vielleicht sind wir uns so nahe gekommen, weil wir beide die direkte Ansprache schätzen“, sagt Plaisance über seine Freundschaft mit dem Bischof. Jedenfalls war dem stämmigen Mann im Rathaus, der seine Stadt wie ein mittelständisches Unternehmen verwaltet, schnell klar, daß Gaillot etwas Besonderes war. Gemeinsam paukten die beiden einen Apartheidgegner aus einem südafrikanischen Gefängnis und kümmerten sich um Kriegsdienstverweigerer.

Zum Abschied verlieh der Kommunist, der „nur zu Taufen und Beerdigungen in die Kirche geht“, dem Bischof, der „nur dem Evangelium“ folgt, die Ehrenbürgerschaft von Evreux. Scherzhaft bot er ihm an, bei den Kommunalwahlen im Juni auf seiner Liste zu kandidieren – „dann würden wir garantiert wieder gewinnen“.

Spätestens seit der Sanktion aus Rom weiß der Bischof, wie stark er ist und wie hoch die Erwartungen der Kirchenbasis an ihn sind. Sein Telefon und sein Fax stehen nicht mehr still. Über 20.000 Solidaritätsbriefe aus aller Welt kamen bei ihm an. Bei seiner Abschiedsmesse tauchen Transparente auf wie „Johannes Paul – Rücktritt! Jacques an die Spitze“ und „Danke, Jacques“. Aus Paderborn angereiste ChristInnen tragen ein Schild mit der Aufschrift: „Du bist unsere Hoffnung.“

Der Bischof, der seit Sonntag ohne Diözese ist, bleibt bescheiden. Über die Lautsprecheranlage dringt kein böses Wort gegen die Kirche , nicht einmal eine Kritik am Papst. „Ich werde auch in Zukunft den Armen die frohe Botschaft bringen“, verspricht Gaillot, den manche Franzosen schon als idealen Präsidenten für ihr laizistisches Land bezeichnen.

Gaillot will von solchen Vorschlägen nichts wissen. Er geht jetzt erst einmal in ein Kloster zum Nachdenken. Anschließend arbeitet er vielleich mit Aids-Kranken oder Gefangenen zusammen. „Er ist ein Engel“, sagt der kommunistische Bürgermeister über seinen Freund, den Bischof. „Ich stelle mir manchmal vor, wie er mit kleinen Flügeln im Himmel schwebt.“