Die Schatten überholt

■ Sapho mit einer Femmage an die ägyptische Legende Oum Kalsoum auf Tour

Berliner Hinterhöfe sind bekanntlich eine Art Verstärker – sehr zum Leidwesen durch Musik nicht zu begeisternder AnrainerInnen. Gerne kommte es zu unschönen Szenen. Was aber, wenn es Oum Kalsoum – „ein Mythos, eine große Romantikerin“ – ist, bei deren Liedern die Hörgewohnheiten der Urberliner und -berlinerinnen Amok laufen? Und was, wenn diese Lieder von einer Frau namens Sapho gesungen werden?

Oum Kalsoum, die 1975 verstorbene ägyptische Sängerin, war ein Star aller arabischen Länder. „Es gibt keine Familie in Nordafrika und Kleinasien, die ihre Musik nicht kennt. Sie singt einfach wunderbar“, schwärmt eine palästinensische Nachbarin, die in Berlin im Exil lebt. „Als ich zehn war, habe ich sie nicht gemocht, aber mit achtzehn... Sie singt arabische Poesie, sie singt von Liebe.“

Nur einen dürren Begriff von dem nagenden Schmerz, der brennenden Leidenschaft, von der Unendlichkeit der Wüste, der Abwesenheit der Geliebten oder von leichtfertiger Erfüllung bietet der Text ohne Musik, aber immerhin: „Hat man je so große Trunkenheit der Liebe gesehen wie unsere / Was für spanische Schlösser haben wir gebaut / Im Mondschein sind wir enge Gassen entlanggegangen, und Freude begegnete uns. / Wir haben gelacht wie Kinder und sind so schnell gerannt, daß wir unsere Schatten überholten.“

Oum Kalsoum ist eine Legende, war es schon zu Lebzeiten – nicht ungewöhnlich für eine Kultur, die sich zum Teil auf sprachliche Überlieferung aufbaut. Es gibt aber auch Parallelen zu anderen großen, Anfang dieses Jahrhunderts geborenen Sängerinnen wie Edith Piaf oder Yma Sumak. Oum Kalsoum wurde in armen Verhältnissen in einem ägyptischen Dorf geboren. Weil ihr Vater nur für seinen Sohn das Geld aufbrachte, konnte sie nicht in die Koranschule gehen. Sie war eine Autodidaktin, auch eine Autodidaktin des Gesangs. Hörensagen, so zumindest das Hörensagen, trug dazu bei, den Ruf ihrer ungewöhnlichen Stimme vom Dorf nach Kairo und weiter zu tragen.

Die Lieder der Oum Kalsoum beginnen mit einer orchestralen Einleitung. Keine kompakten kompositorischen Elemente setzen Zäsuren, markieren einen Anfang und ein Ende, statt dessen gibt es arabischen Minimalismus mit sich wiederholenden Tonläufen und Melodiefragmenten, die von Instrument zu Instrument leicht variieren, gespielt auf der fünfsaitigen Oud, dem Kanoun (einer Zither), der Darabukka (einer Handtrommel vorislamischen Ursprungs) und einer Geige, deren Vorläuferin wahrscheinlich die arabische Rababe ist. Erst nach minutenlanger Einstimmung dann setzt Oum Kalsoum mit ihrem Gesang ein, weich, geschmeidig, nicht heiser und brüchig.

Zwanzig Jahre nach ihrem Tod kommt Oum Kalsoum wieder auf Tournee – durch ein Programm der in Marokko geborenen, später in Frankreich lebenden Sängerin Sapho. Sapho hält nichts von falschem Respekt. Das ist, als ob man „diese Klassiker, die doch ein Teil unserer Kultur sind, ein zweites Mal tötet, indem man sie einbalsamiert und unberührbar auf einen Altar stellt“.

Entsprechend betreibt sie keine Oum-Kalsoum-Revival- Show, baut Rock, Jazz, Postpunk ein. Sapho ist in Frankreich aufgewachsen, lebte auch in New York. Bereits Anfang der achtziger Jahre hatte sie das Glück, mit Musikern zusammenzuarbeiten, die aus einem Fundus unterschiedlichster Kulturen schöpften und die in ihrer Vielfalt auch Saphos eigene Biographie spiegeln, ist sie doch mit der arabischen Kultur vertraut, aber als sephardische Jüdin immer auch „im Exil“, wie sie selbst sagt. „Ich fühle marokkanisch, aber ich wußte immer, daß ich keine Marokkanerin bin.“

Mit ihrer Kunst hat Sapho sich jahrelang für Frieden zwischen Israelis und Palästinensern eingesetzt. Daß sie jetzt Oum Kalsoum singt, versteht sie auch als antifundamentalistisches Statement. „Die arabische Identität ist nicht nur in Beziehung zu setzen zur Religion. Der klassische Islam ist zudem nicht fundamentalistisch.“ Es sind die Widersprüche, die sie interessieren, auch wenn das heißt, daß auch viele Traditionalisten sie verehren – obwohl gerade sie die Kontrolle über die Frau zum Symbol ihrer Macht machen.

„Oum Kalsoums Karriere begann in den Moscheen, wo sie als Junge verkleidet sang. Die Texte ihrer Lieder allerdings handeln von Liebe und Sinnlichkeit.“ Mit französisch vorgetragenen Passagen eröffnet Sapho das Programm: „Mein Herz – frag nicht mehr danach, was aus unserer Liebe geworden ist. Ich dachte, sie wäre stark wie eine Festung, und plötzlich ist sie in sich zusammengestürzt. Schenk mir ein und trinke auf die Ruinen.“ Waltraud Schwab

Tourdaten:

Am 25.1. in Nürnberg, am 28.1 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin, 27.1. Amsterdam, 29.1. Brüssel, 31.1. Luxemburg