Wasser marsch!

Viel Feuchtigkeit, wenig Geschichte – Meryl Streep kämpft „Am wilden Fluß“ gegen Kunstfluten  ■ Von Karl Wegmann

Als Francis Ford Coppolas „Dracula“ in die Kinos kam, war die Hauptdarstellerin Winona Ryder voll des Lobes. In unzähligen Interviews konnte man nachlesen wie toll die junge Schauspielerin den Beißerfilm fand. Ein Jahr später bat Frau Ryder wieder zum Gespräch und beichtete, daß ihre Reklame für „Dracula“ eine faustdicke Lüge war. Sie fand den Film schrecklich und habe ihn in den Interviews „schöngeredet“. Winona Ryder gab zu, auf den Pressekonferenzen „geschauspielert“ zu haben. „Ich war schließlich vertraglich dazu verpflichtet. Für diese Leistung hätte ich einen Oscar verdient“. (Cinema 11/93) Ist das verwerflich? Nein, eigentlich nicht. In Hollywood werden Filme gemacht wie anderswo Autos oder Katzenfutter, einzig und allein um damit Geld zu verdienen. Und welcher Fabrikant würde einen Mitarbeiter nicht sofort feuern, wenn der öffentlich rumerzählen würde, das Produkt, das er da jeden Tag fabriziert, sei absoluter Mist. Winona kann also mit unserer Gnade rechnen ebenso wie Meryl Streep, die gerade dabei ist, ihre neue Ware, den Rafting-Thriller „Am wilden Fluß“, schönzureden.

„Alle Schauspieler waren ganz begeistert, bei diesem Film dabei zu sein“, behauptet die Streep. „Ich selbst konnte jedenfalls nicht abwarten, das fertige Produkt auf der Leinwand zu sehen und meinen Kindern zu sagen: ,Schaut mal, das bin wirklich ich. Das hat alles eure Mama geleistet.‘“ Tja, und da haben wir sie schon, die erste Schwindelei. Denn was Mama auf der Leinwand körperlich leistet, brachte sie nur mit einer kräftigen Hilfestellung von Spezialeffekten aus dem Computer der britischen Firma Quantel zustande.

Mama, Papa, Sohn und ein Gangster

Die Geschichte von „Am wilden Fluß“ ist platt wie Pappe: Eine Kleinfamilie, Mama, Papa, Sohn, in der es mächtig kriselt, macht eine Bootsfahrt. Gangster kommen und bedrohen Familie. Familie steht plötzlich wieder zusammen wie ein Mann (in diesem Fall Frau). Zum Schluß: Verbrecher tot, Familiensegen hängt wieder gerade. Abspann. Seit „An einem Tag wie jeder andere“, den William Wyler vor genau 40 Jahren mit Humphrey Bogart als Geiselgangster inszenierte, ist diese Geschichte immer wieder erzählt worden, meist mit mäßigem Erfolg. Wyler hatte damals das Glück, Joseph Hayes, den Autor des Romans und des Theaterstücks für das Drehbuch zu gewinnen. Regisseur Curtis Hanson („Die Hand an der Wiege“) bekam dagegen das Buch von Denis O'Neill, dem die Idee dazu auf einem Angeltrip gekommen war. Auf den ersten Blick ist der Einfall, einen Wildwasserfluß, auf dem das Drama abläuft, eine Hauptrolle spielen zu lassen, gar nicht schlecht. Denn wie die Geschichte ausgehen wird, ist jedem Zuschauer von Anfang an klar. Die Sympathieträger, die Familie also, wird auf jeden Fall überleben und die Bösen werden ihre gerechte Strafe bekommen. Also packt man neben „Gut“ und „Böse“ noch eine dritte Kraft dazu, die Natur, die beide Seiten für ihre Interessen zu nutzen versuchen. Doch leider macht Hanson den Fehler, sich auf diese „dritte Kraft“, den Fluß, zu konzentrieren, verrennt sich und verliert die Geschichte aus den Augen. Er läßt die Stromschnellen aus allen möglichen Winkeln und Perspektiven abfilmen, zeigt in wunderschönen Totalen die Flußlandschaft und vergißt auch nicht, ein paar Öko-Tips einzustreuen.

Hohe Präsenz in der Kahnpartie

Das ist nett, die Spannung geht dabei jedoch noch schneller als das Rafting-Boot den Bach runter. Hinzu kommt, daß der „wilde Fluß“ nicht halb so wild ist, wie uns das Hanson glauben machen will. Wo nicht genug Stromschnellen vorhanden waren, wurden mit Hilfe des Computers (für den Zuschauer nicht erkennbar) welche hineinkopiert, und die Seile, an denen Meryl Streeps Boot sicher vom Hubschrauber gehalten wurde, wurden wegretuschiert.

Eine Kidnappinggeschichte steht und fällt mit dem Part des Bösewichts. In „Am wilden Fluß“ bekam Kevin Bacon die schlampig geschriebene Rolle. Zuerst muß er charmant sein, die Freundschaft des Sprößlings suchen, dann soll er hundsgemein werden und zur Bestie mutieren. Das schafft Bacon nicht, selbst als er einen Indianer abknallt, wirkt er eher wie ein irregeleiteter, hilfloser Junge als ein brutaler Psychopath.

Bleibt Meryl Streep. Die ist natürlich klasse, die einzige, die Präsenz zeigt in dieser Kahnpartie. Meryl Streep setzt ihre ganze Erfahrung ein, um dieses Gespinst aus Familienkrise, Gauner und Naturschönheit halbwegs zusammenzuhalten. Doch sie alleine schafft es nicht, gegen die Wassermassen anzuspielen und das Spektakel zu retten. Warten wir ab, was sie in einem Jahr, wenn sie nicht mehr zur Reklame verdammt ist, von dem Film hält.

Curtis Hanson: „Am wilden Fluß“. Mit: Meryl Streep, Kevin Bacon, David Strathairn u.a.; USA 1994; 111 Min.