Warten auf das Schnitzel

■ Die österreichischen Kabarettisten Dorfer und Hader über Katholizismus, Humorgeographie und ihren Film "Indien"

Als Heinzi auf dem Klo sitzt, bietet er Kurt das Du an. Durch die geschlossene Tür. Sie haben sich gerade über ihr vornehmstes Körperteil unterhalten, ziemlich ehrlich und ziemlich verdruckst. Eigentlich können sie einander nicht leiden, aber was soll man machen. Schließlich sind sie Kollegen und auch noch auf Reisen. Hotel- und Gaststätten-Inspektoren im Außendienst. Das heißt, sie fahren in einem klapprigen Ford über Land und testen Biere, Duschen, Saunageländer. In Österreich. In „Indien“ ist Österreich ein plattes Land, mit Ölpumpen auf den Feldern und Bahnschranken, vor denen man warten muß, eine Ewigkeit lang. In dieser Landschaft ducken sich Orte, die Kirchdorf, Kirchstetten oder Kirchschläger heißen und mit verkommenen Gasthöfen ausgestattet sind. Darin sitzen Heinzi und Kurt, im Mief des Schankraums, mit zerknittertem Anzug, eingezogenen Schultern, stierem Blick, und warten auf das Schnitzel. So öde kann Österreich sein. Heinzi (Josef Hader) ist der Spießer. Säuft, läßt sich vom Gastwirt bestechen, müllt das Auto voll und sagt nix. Ist auch nicht nötig, denn Kurt redet viel. Was soll man auch machen. Er plaudert über die Bedeutung von Orts- und Personennamen, über die Ähnlichkeit von Sex und Sprungschanzen, über Recycling, über die Zähne des Buckelwals und den Zusammenhang zwischen Gegend und Eßgewohnheit. Heinzi kontert mit stoischer Miene. Kurts Theorie: in üppigen Landschaften gibt es viele Mehlspeisen, in kargen Gegrilltes. Und in Indien essen sie überhaupt nur Reis. „Da muß irgendwie eine ganz eigene Landschaft sein.“ Kurt (Alfred Dorfer) ist der Yuppie. Vegetarier, ordnungsliebend, bildungsbeflissen. Während Heinzi das Fleisch in sich hineinschaufelt, stochert Kurt in der Rohkost. Ein Beilagen-Esser. Er hat eine Kassette mit indischer Musik, die hört er manchmal im Auto. Einmal tanzt er dazu, bei Sonnenaufgang auf dem Feld vor den Hochspannungsmasten, mitten in der öden österreichischen Landschaft. Ein himmlischer Moment in einem schäbigen Leben. Von wegen Provinzposse. Auf einmal geht „Indien“ mitten ins Herz. Sogar Heinzi wird redselig. Das heißt, er sagt ab und an einen Satz. Zum Beispiel erklärt er, warum die Indianer nur nachts angreifen. Was soll man auch sagen. Das ist die erste Hälfte von „Indien“. Ein Kabarett von Alfred Dorfer und Josef Hader, die ihr Stück mit sich selbst in den Hauptrollen unter Regie von Paul Harather für die Leinwand adaptiert haben: eine rabenschwarze, hundsgemeine, stoische Komödie. Detlev Buck ist barock dagegen. In der zweiten Hälfte wird es ernst, denn Kurt ist todkrank. Aber todtraurig wird es keineswegs. Nun plaudern die beiden über Wiedergeburt, über die Vorteile der Einäscherung für Menschen mit Platzangst und stellen die Sinnfrage auf österreichisch: „Warum bin ich a Mensch und der andere nur a Hendl?“ Plötzlich ist der Tod zum Heulen schön. Indische Musik klingt anders seitdem. Nicht nur für Heinz.

* * *

taz: Warum ausgerechnet Indien? Warum mag der Gaststätten-Inspektor Kurt Fellner indische Musik und nicht etwa afrikanische oder peruanische?

Alfred Dorfer: Über Indien wissen die meisten Leute in esoterischer und religiöser Hinsicht mehr als über die Watussi-Religionen.

Watussi?

Dorfer:Watussi. Afrika.

Josef Hader: Von Indien hat doch jeder einen ähnlich schwammigen Begriff wie der Kurt. Von Afrika wissen wir alle miteinander nichts. Jeder denkt, ja, klar, Indien, aber wenn man genauer nachdenkt, weiß man darüber auch nichts. Deswegen ist Indien besser.

Wieso muß Kurt sterben? Ist an meinem Vorurteil von wegen Wien und Todessehnsucht etwas dran?

Hader: Nein, es lag an unsrer Lust, ein Tabu zu brechen. Witze über mittlere Angestellte kann jeder machen. Alle lachen, selbst die mittleren Angestellten, aber es geht keinen an. Witze über den Tod gehen jeden an. Es ist ja eigentlich ein Kabarettstück, und wenn es in der zweiten Hälfte des Stücks immer trauriger wird, ist das an sich schon etwas sehr Explosives. Aber daß jemand auf der Bühne wirklich und ernsthaft stirbt, damit rechnet keiner.

Welche Reaktionen haben Sie erlebt?

Dorfer: Atypische. Der Großteil der Zuschauer hat diesen Wandel akzeptiert, viele waren schockiert, manche verständnislos.

Hader: Bei einem Schauspieler ist klar: Der spielt. Bei einem Kabarettisten glauben alle: Der steht da oben und sagt seine Meinung. In dieser Haltung ist ein Teil unseres Publikums unbeirrbar. Es gibt immer noch Kabarettdeppen, die nicht kapieren, daß auf der Bühne ein Stück passiert ...

Dorfer: ... Und die meinen, er, der Hader sagt das, und nicht der Heinzi Bösel.

Wie ist es denn, auf der Bühne zu sterben? Ein Shakespeare-Darsteller hat Übung darin, für einen Kabarettisten ist es ungewöhnlich.

Dorfer: Es hat mich seltsam berührt. Es wurde nie zur Routine. Auf der Bühne ist es mir näher gegangen als beim Drehen. Beim Drehen ist es ein Tag. Auf der Bühne wiederholt es sich jeden Abend.

Gibt es eine besondere Verbindung zwischen Religion und Komik, zwischen Frömmigkeit und Kabarett? In Ihrer Biographie (Knabenseminar, Chorsänger, Mesner) finden sich ja einige Hinweise.

Hader: Es gibt so Theorien über katholische Kabarettisten und daß die einen anderen Stil haben als die protestantischen. Ich glaube, durch den Umgang mit Tabus, den man als Katholik ja von frühester Jugend an pflegt, entwickelt man eine besondere Lust am Tabubrechen. Man befindet sich in dieser feierlichen Atmosphäre, ... ich war zum Beispiel Ministrant, du doch auch ...

Dorfer: Nein, aber ich war sehr in der Pfarre engagiert.

Hader: ... Und es ging darum, diese Feierlichkeit zu stören. Deshalb machen wir wie gesagt gern Witze über den Tod, über die Kirche ...

Dorfer: ... oder noch schlimmer: Fäkalien. In München wurde ich in jedem Interview auf die Szene vorm Klo angesprochen. Dieser Dialog hat die Gemüter mehr bewegt als das mit dem Tod.

Hader: In Hamburg hat kein einziger danach gefragt.

Was schließen Sie aus dieser unterschiedlichen Reaktion?

Hader: Daß Hamburg in der Nähe von England liegt.

Dorfer: Durch die vielen Schiffe ist englischer Humor herübergekommen. Es gibt eine Theorie, daß der Humor von der Gegend abhängt. Das ist jetzt kein Witz. In Ebenen ist der Humor anders als im Gebirge.

Hader: Also unser eher indirekter Sarkasmus, unsre versteckte Ironie, dieses Hintenrum wird in Süddeutschland sehr gut verstanden und ganz im Norden auch wieder, während in der Mitte oder auch in Stuttgart die Beziehung zur Ironie schwächer ausgeprägt ist. In Süddeutschland mag es an der geographischen Ähnlichkeit zu Österreich liegen, während der Norden wie gesagt vom englischen Humor beeinflußt ist, der gerne mit Geschmacksgrenzen operiert. Wahrscheinlich gibt es eine Humorgeographie.

Wie kam denn das Theaterstück über die beiden Gaststätten-Inspektoren zustande, auf dem der Film basiert?

Hader: Möglicherweise haben wir im Lauf der Zeit eine besondere Sicht auf die Provinz gewonnen, wir machen schon sehr lange Tourneen über Land. Und da haben wir in solchen Hotels und Gasthöfen gewohnt. Der erste Gedanke war, wir machen was zusammen. Der zweite war, wir machen was über zwei Männer, logischerweise. Der dritte war, die zwei Männer sind unterwegs. Wir haben uns oft im Caféhaus in Wien getroffen, haben dann eine halbe Stunde auf die Kollegen geschimpft, und dann haben wir – wie heißt das? – improvisiert, man könnte auch sagen: Schmäh geführt. Aus diesem Material hat jeder von uns ein Theaterstück geschrieben.

Dorfer: So hatten wir praktisch zwei „Indien“-Vorlagen. Wir trafen uns in Innsbruck und stellten fest, daß die beiden fast identisch sind. Die Ur-Idee war eigentlich die Gralssuche, im Prinzip sind wir davon gar nicht sehr abgewichen.

Was ist der Gral?

Beide: Indien.

Inwieweit haben Sie das Stück für den Film verändert?

Dorfer: Ein Drittel Text haben wir gestrichen.

Hader: Die wesentliche Arbeit bestand darin, zu überlegen, ob wir aus dem Zweipersonenstück ein Mehrpersonenstück machen, und dann zu entscheiden, daß wir keine anderen Figuren hinzunehmen, denn interessant sind ja nur Heinzi und Kurt. Die erste Hälfte des Stücks besteht aus fünf Gasthaus- Dialogen, die zweite aus drei Krankenzimmer-Szenen. Im Film spielt die erste Hälfte zum großen Teil im Auto.

Dorfer: Außerdem mußten wir Gegenden finden. Die Landschaft mit den Ölpumpen liegt östlich von Wien, Richtung Ungarn. Das ist unser Texas.

Wie kamen Sie denn überhaupt darauf, zusammenarbeiten zu wollen?

Dorfer: Es gibt eine sehr große Übereinstimmung zwischen uns, das ist fast telepathisch. Klingt jetzt wie eine dieser üblichen Legenden, stimmt aber wirklich. Wir sind uns sehr nah.

Hader: Wir sind beide sehr ernsthafte Menschen, wir gehören nicht zu den unbeschwerten Komödianten. Wir müssen uns alles erarbeiten. Das Ergebnis fällt vermutlich anders aus, als wenn wir so extrovertierte, krampflose, lockere Typen wären. Wenn der Regisseur kommt und sagt: „Jungs, jetzt machen wir Theatersport: Wer spielt den andern an die Wand?“, wachsen wir nicht über uns hinaus. Wir brauchen eine sehr feine Art, miteinander umzugehen. Wir sind sensibel.

Und wenn Sie sich streiten?

Hader: Wir streiten uns nie. Wenn einem die Idee des anderen nicht gefällt, sagen wir: Mmh, ja, sag mal, wie wär's denn so, das wär' doch auch nicht dumm. Das heißt, wir schätzen die gepflegte Unehrlichkeit, die ist uns viel lieber als die Ehrlichkeit, die einem ins Gesicht fällt ...

Kritik und Interview:

Christiane Peitz

„Indien“, Regie: Paul Harather, nach dem gleichnamigen Theaterstück von Josef Hader und Alfred Dorfer, mit den Autoren in den Hauptrollen und einigen Übersetzungshilfen; Kamera: Hans Selikovsky; Österreich 1993, 90 Min.