Ein Raunen im Saal

■ Ägypten: Zweite Instanz des Gerichts will verbotenen Film erst einmal anschauen

Kairo (taz) - Brechend voll war gestern der Saal Nummer Zwei des ägyptischen Zivilgerichtes im Zentrum Kairos. Würde das Gericht auch in zweiter Instanz das Verbot des Films „Al-Muhager“ – „Der Emigrant“ aufrechterhalten? Alle Kopien dieses letzten Films des bekanntesten ägyptischen Filmemachers Yussuf Chahine sind zu konfiszieren, lautete das Urteil des Richters vor einem Monat, jegliche Verbreitung durch Videos und der Export war fortan verboten (die taz berichtete am 11.1.95).

Der Grund für das Verbot: Die Geschichte des Filmes lehnt sich eng an die Geschichte des biblischen Josefs an. Der wiederum wird von den Muslimen als einer der Propheten angesehen. Der Kläger gegen den Film, der islamistische Anwalt Abu Faid, konnte sich auf eine Fatwa der islamischen Azhar-Universität stützen, derzufolge Abbildungen von Propheten im TV, Kino und Theater gegen das religiöse Recht verstoße.

Diesmal ist die Kairoer Filmszene gut auf den Prozeß vorbereitet. „Wir sind alle da“, freut sich Yussuf Ismail, der im Film einen von Josephs Brüdern spielt. Von den Maskenbildner, Kameraleuten, Regieassistenten und Schauspielern und bis hin zum Meister selbst – Yussuf Chahine – ist alles vertreten.

Es ist eine atemberaubende Mischung im Saal: Schauspielerinnen mit wehenden Haarschweifen, islamistische Advokaten mit Prophetenbärten, alternde Schriftsteller, die der anwesenden Journalistenzunft in die Blöcke diktieren, während milchgesichtige Jungblutpolizisten und greise Gerichtsdiener sich drängen, um ein kurzes Lächeln der Moviestars zu erheischen. Als Yussra, die Queen der ägyptischen Schauspielerszene, in sportlichem Gelb und mit dunkler Sonnenbrille bekleidet im Diva- schritt den Saal betritt, da raunt es unter Islamisten und Säkularisten zugleich.

In den Plädoyers der Kläger und Verteidiger wird erneut deutlich, welch unterschiedliche Sprache die beiden Seiten sprechen. „Wir leben in zwei Welten und das ist die Tragik dieses Landes“, sagt später einer der Verteidiger Chahines. Der islamistische Anwalt spricht von Fatwas und dem Koran als letzter Instanz, und er tut das in einem Ton, als würde er direkt aus dem heiligen Werk selbst rezitieren. Das Dutzend säkularistischer Anwälte, das zur Verteidigung des Filmes angetreten war, plädierte sichtlich erregt für die Freiheit des Ausdrucks als allerhöchsten Wert. Dazwischen liegen kulturelle Welten, und es ist die Aufgabe des nicht zu beneidenden Richters, diese zu überbrücken, als er sich zur Beratung zurückzieht.

In der Pause geben sich beide Seiten optimistisch. Die große Frage bleibt: Wird das Gericht beschließen, ob der Film verboten oder erlaubt ist? Oder wird es, wie ein Verteidiger Chahines fordert, den Fall ganz ablehnen? Laut ägyptischem Recht, erklärt Hussam Essa, ein Rechtsprofessor an der Ain Schams Universität Kairo, muß der Kläger – in diesem Fall der islamistische Anwalt – sein persönliches Interesse an dem Verbot des Filmes begründen. Das sei seiner Meinung nach hier nicht der Fall. Das Gericht solle sich also erst gar nicht in die heiße Materie hineindenken. Die Forderung, das Gericht solle sich zuerst den Film ansehen, bevor es entscheidet, findet er daher abwegig.

Die zweite Instanz des Kairoer Zivilgerichtes sieht das wohl etwas anders. Der Urteilspruch wird verschoben. Das Gericht möchte nächsten Mittwoch den Film mit eigenen Augen sehen. Damit hat es sich in der Substanz dem Kläger angeschlossen. Das wäre dann das erste Mal in der ägyptischen Justizgeschichte, daß ein Zivilgericht darüber entscheidet, ob ein Kunstwerk islamisch legitim ist oder nicht. Karim El-Gawhary