■ Press-Schlag
: Ein Mann sieht rot

Bis zur Halbzeit war alles gutgegangen. Eric Cantona, der französische Nationalspieler in Diensten von Manchester United, hatte bei Crystal Palace ein ordentliches Spiel hingelegt. Doch dann scheint ihm der Pausentee nicht bekommen zu sein. Das Spiel war kaum wieder angepfiffen, als Cantona seinem Gegenspieler Richard Shaw einen Tritt verpaßte und dafür völlig zu Recht die rote Karte sah – ein Anblick, an den er sich eigentlich längst gewöhnt haben müßte. Offenbar hatte ihm der Platzverweis diesmal jedoch die Laune verdorben. Als er unter den höhnischen Zurufen der Crystal-Palace-Fans in Richtung Kabine ging, sprang er plötzlich im Stile eines Kickboxers über die Absperrung und landete mit beiden Füßen im Gesicht eines Zuschauers.

Für einen Moment schien es, als ob der Zwischenfall zu einer Massenschlägerei ausarten würde. Uniteds Nationalspieler Paul Ince hatte sich ebenfalls einen Zuschauer gegriffen und ohrfeigte ihn aus vollem Herzen, während andere Fans ihre gefüllten Teebecher nach Cantona warfen. Der Mann, der nun eine Weile Cantonas Fußabdrücke im Gesicht trägt, wurde von der Polizei zur Vernehmung und ärztlichen Untersuchung mitgenommen. Er will Strafanzeige stellen. „Ein United-Spieler wurde um 20.48 Uhr vom Platz gestellt“, gab Scotland Yard bekannt. „Als er vom Platz ging, kam es zu Störungen, in die einige Zuschauer verwickelt waren.“

Cantona war im Februar 1992 nach England gekommen, um bei Sheffield Wednesday ein einwöchiges Probetraining zu absolvieren. Als der Vorstand die Probezeit verlängern wollte, weil das Training wegen Eis und Schnee ausgefallen war, reiste Cantona wutentbrannt ab. Kurz darauf unterschrieb er bei Leeds United und führte den Club zur Meisterschaft. Als ihn der Verein nach zehn Monaten an Manchester United verkaufte, kam es deshalb zu einem Aufruhr bei den Leeds-Fans.

Seit seinem Wechsel ist er bereits fünf Mal vom Platz geflogen – einmal hatte er den Schiedsrichter beleidigt, ein anderes Mal seinen Gegner zu Boden gestreckt. Bei der WM in den USA – Cantona arbeitete als Reporter für einen französischen Sender – wurde er im vergangenen Jahr sogar vorübergehend festgenommen, weil er einen FIFA-Funktionär nach einem Streit um seine Pressekarte vermöbelt hatte. Das alles tat seinem Ansehen bei den Kollegen keinen Abbruch: Sie wählten ihn als ersten Ausländer zum Spieler des Jahres.

Nun ist Cantonas Karriere in England jedoch ernsthaft gefährdet. Die Funktionäre des englischen Verbandes schäumen vor Wut. Ein Verbandssprecher kündigte „unausweichliche und umgehende Konsequenzen“ an. „Dieser Vorfall bringt Schande über die Beteiligten und – weit schlimmer – über den Fußball selbst.“ Ralf Sotscheck