Wand und Boden
: Auferstanden aus Leibern, Leichen und Geschichten

■ Kunst in Berlin jetzt: Standpunkte, Wolgang Petrick, + raum – Kunst zwischen Bewußtsein und Sünde

Die Stahlkunstgruppe Dead Chickens wurde 1986 gegründet. Seitdem geistern ihre Splatterspielzeuge durch den Underground und werden ungefähr einmal im Jahr als „junge Berliner Kunst“ präsentiert. Das mag ein günstiger Ausgangspunkt sein, um buntbemaltes Altmetall an Zugereiste zu verscherbeln, für einen der von der Galerie Rafael Vostell angekündigten „Standpunkte“ ist es jedoch arg wenig. Zur Eröffnung schlurft ein sektausschänkendes Chicken mit Gorilla-Maske und Heidi-Kostüm durch die engen Räume, grunzt ab und zu verdutzte Gäste an und läßt sich geduldig von einem Kamera-Team filmen. Sonst bewegen sich ein paar ihrer motorbetriebenen Monster-Trophäen an der Wand, die gut als Begleit-Expressionismus zu „Fura del Baus“ im Tempodrom gekommen sind, und man fragt sich, warum solcherlei Trashpop nicht auch ohne Kulturspektakel wie bei Mike Kelley oder Paul McCarthy funktioniert. Vielleicht liegt es daran, daß dem preußischen Gesamtkunstwerk die Ironie und Eigendynamik des unterhaltungsfrohen Nord-Amerikaners fehlt. Viel Mechanik, aber keine Liebe. Neben dem Triptychon „Engelwesen“ von Albert-Maria Maria Pümpel stört das gewaltig. Die orange in der Tiefe schwelenden Ölbilder des in Berlin lebenden Aacheners sind mürrisch, nahezu abweisend gemalt, die Engel verschwinden unter Schichten von rembrandtbrauner Tempera. Unter dieser maltechnisch versiert aufgetragenen Patina hat das flippig endzeitliche Jungspathos keine Spuren hinterlassen. Pümpel grübelt, ohne zu klagen. Andere Arbeiten, wie etwa die übergroßen Kinderportraits in Kohle von Mark Hipper oder das klogrüne Styroporgebilde von Oliver Oefelein hätten mehr Platz gebraucht, der Rest – immerhin elf weitere KünstlerInnen – schwebt auf knapp 30 Quadratmetern Ausstellungsfläche praktisch zwischen Tür und Angel.

Bis 25.3., Mo-Fr 15-19, Sa 11-14 Uhr, Niebuhrstraße 1-2.

Wenn sich ein Künstler, zumal in der Tradition von George Grosz arbeitend, mit allen Themen überworfen hat, bleibt ihm immer noch das Spiegelbild. Als „Narziß“ hat sich der Berliner Maler und HdK-Professor Wolfgang Petrick wenigstens im vergangenen Jahr während eines New-York-Aufenthalts wahrgenommen und abgearbeitet. Ein Narziß findet sich im Bildnis des heiligen Sebastian ebenso wie auch hinter der Totenmaske vom alten Fritz. Damit spielt er natürlich sehr geschickt diverse Männerphantasien gegeneinander aus – denn unter dem Panzer ist gar nix, da ist nix und da war nix: „Nicht Sterben in Schönheit, sondern gräßliches Totsein“, schreibt Wolfgang von Wangenheim im Katalog zu Petricks collagierten Zeichengräbern aus strammen, doch auch gender-bendernden Helden und wischt gleich alle Kurt-Cobainereien von vornherein vom Tisch. Das Leiden ist Motor, nicht Reflex der Arbeit; der Tod fungiert nicht als symbolische Drohung, die über der Produktion schwebt, sondern nur als ein Leitmotiv, das sich im Spiegelbild mit dem Leben vermischt. Auferstanden aus zig Leibern, Leichen und Geschichten kombiniert Petrick Körperteile mit Verweisen quer durch die Mythologie, um am Ende immer wieder bei sich selbst zu landen: griechische Jagdsymbole rahmen mit Reichsadler und schemenhaftem Hakenkreuz das Konstrukt called „Künstler- Ich“. Torsi flattern durch die Luft, Polöcher liegen offen da und harren der Dinge, die da kommen. Petrick aber kommt vom fantastischen Realismus, „dem das Äußere nicht Anlaß ist zur Steigerung von Glanz und Reiz, sondern Tummelplatz von Empfindlichkeit, Reizfläche, geschundener Haut, Epidermis im Notstand mit kraß hervorgetriebenem Fleck und Knoten, Schuppen und Haar“.

Von Wangenheims Kommentaren getragen schleppt sich der Künstler durch eine irgendwie „anale Suppe“ (ein Zitat Walter Stöhrers, selbst Prof an der HdK) aus ockerbraun überwischten Radierungen und Siebdrucken. In ruhigeren Momenten malt Petrick dann von leichter Hand in blaßgrün und meerblau unter Glas, wobei Celans „Todesfuge“ und seltsam einäugige Wesen nicht recht zueinander finden wollen. Immer sind Wehrmachtshelme im Weg.

Bis 1.3., Mo-Fr 10-18.30, Sa 10-14 Uhr, Raab-Galerie, Potsdamer Straße 58.

Schon im Eingangsportal der Parochialkirche, gleich neben dem Klingelbeutel, vernimmt man ein Gurgeln und Gluckern. Es ist Teil einer Video-Installation, die man zwangsläufig betreten muß, um in die Ausstellung „+ Raum – Kunst zwischen Bewußtsein und Sünde“ von neun KünstlerInnen aus Krakau zu gelangen. Schlauchartig gehängte Plastikfolie, im Innern ein Video, das an die meterweit entfernte Decke strahlt – es riecht nach Südseezauber oder anderen süßen Toilettendüften. Die Bilder in der Höhe bleiben zunächst einmal diffus.

Mit Gummihandschuhen wird schwarzer Glibber durch einen Trichter in etwas gestopft, daß aus der fremden Unterperspektive betrachtet wie ein gerupftes Federvieh aussieht. Plötzlich aber hat das Huhn rundum einen Haarbusch, nachdem es mit einem Schlauch säuberlich ausgespült worden ist. Alicja Zebrowska ist Hardcore-Performerin, die Öffnung ihre eigene, in die sie neben dem dunklen Modder auch Finger, Schwänze und Teeuntertassen einführt. Langsam bewegen sich die Schamlippen um den Teller aus Ton, der dann manchmal wie ein Auge bei Bataille hervorblitzt. Obszön, doch nicht sehr pornografisch, denn „Wir sind alle eingeweiht und jedes Geheimnis ist Wirklichkeit“, wie ein seitlich angebrachter Merkzettel aufklärt. Später gebiert die 38jährige Krakauerin als Mutter-Madonna-Cicciolina eine Barbie- Puppe. „Der Körper“ ist im Film als eine Reise durch die Frau angelegt, der sich in der Kirche öffnet – eine Metastase, und also nicht unbedingt für Feministinnen geeignet, die sich ihr Geschlecht jeden Morgen neu erfinden; oder für triebabfuhrbereite Männer, denen solcherart Vaginal-art wohl eher Angst macht. Aber Katholiken werden an dieser Durcharbeitung unreiner Fantasien ihre Freude haben, sowie auch all die restlichen Videos, Klangskulpturen und Bilder das eben eine zum Thema haben – die Grenze zwischen Bewußtsein und Sünde. Lukasz Skapski pendelt das Kirchenschiff mit einer schweren Silberkugel aus; Marek Kus hat die meterhohen Fenster mit bleiernen Tafeln verhängt, die er in unvorstellbar mühevollen Zeichen-Sessions flächendeckend schraffiert haben muß, so wie sonst nur Wolfgang Laib seine Rechtecke meditativ zupudert. In jedem Fall soll die Kluft zwischen Subjekt und Objekt überwunden, zumindest betrauert werden. Anna Janczyszyn läßt wie in der Zeit des Aktionismus ihren Protagonisten wehklagend über dichtbefahrene Straßen robben, nur um zu filmen, ob die Autos anhalten oder nicht. Früher fiel so was unter den Begriff „Grenzsituation“ und wurde lebhaft in Sartre- Proseminaren diskutiert. Jetzt findet es als ritualisierte Körper- Kunst in der Kirche statt.

Bis 25.2., Mi-So 11-19 Uhr, Klosterstraße 67. Harald Fricke