Kinder des Zorns?

■ Die "Power Rangers" kämpfen gegen Blümchen und die Experten eines RTL-Hearings mit der TV-Gewaltdebatte

Russische Truppen zerbomben Tschetschenien. Seit Jahren herrscht in Bosnien Bürgerkrieg. Nationalistische Soziopathen zünden türkische Wohnhäuser an. Und in Deutschland debattiert die aufgebrachte Öffentlichkeit wieder einmal über Gewalt im Fernsehen: Diesmal ist die Kinderserie „Power Rangers“ obskures Objekt der Begierde.

Die Vorgeschichte ...

Die leidliche Debatte über Gewaltdarstellungen im Fernsehen ist gegen Rationalität so resistent wie die Astrologie. Eltern waren schon dagegen, daß ihre Kinder Comics oder Karl May lasen. Richtig bewegt wurden die Gemüter aber erst mit dem bewegten Bild – die Argumente in der TV-Gewaltdebatte sind bekannt, seit die Zeichentrickserie „Schweinchen Dick“ als gewaltverherrlichend gegeißelt wurde. Dann kam der Videorekorder über uns und boomte in Deutschland ab 1977 nur deswegen so rasch wie sonst nirgendwo, weil das entsprechende Kassettenangebot vorlag: Horror, Porno, Krieg und Action boten erstmals ein zum Fernsehen alternatives Programm. Obwohl nur ein geringer Teil davon richtige Hardcorefilme waren, forderte der damalige Familienminister Geißler schon 1982 ein Verleihverbot. Pädagogen wie der spätere Jugendbeauftragte der FSK, Joachim von Gottberg, gingen in die Schulen und zeigten den Lehrern Hardcore- Horrorfilme: In der Folge erreichte die Horrorvideo-Debatte mit einer Titelgeschichte im Spiegel am 12.3.1984 exakt zu der Zeit ihren Höhepunkt, als die Verkaufszahlen des Videorekorders erstmals rückläufig waren.

Infolge der Verschärfung der Zensur ab 1985 schnitten Videoanbieter ihre Kassetten freiwillig so zusammen, daß sie eine Freigabe „ab 16 Jahren“ erzielten. Die drei Jahre zuvor in den Markt eingestiegenen Major Companies verdrängten Kleinanbieter und schalteten den Markt gleich, sodaß das Videogeschäft fast nur noch über die Zweitverwertung von Hollywood-A-Titeln lief. Gewaltdarstellung ist heute aus Videotheken so weitgehend verbannt.

... wiederholt sich

Ende der 80er verstummte die Gewaltdebatte kurz, denn die handgroße Videokamera boomte, und alle Welt debattierte über Kinderpornos, während zeitlich das Thema „Sexueller Mißbrauch von Kindern“ die Titelgeschichten der Magazine besetzte. Da erkannte Familienministerin Angela Merkel ihre Chance, durch Wiederaufkochen der Gewaltdebatte in die Presse zu kommen. Das Muster des Horrorvideostreits legte sich schwer auf die Diskussion über Gewalt im Fernsehen, und ein scheinbar geläuterter RTL-Chef Helmut Thoma gab zu: „Wir haben Spielfilme gesendet, die vor uns zu Recht keiner gezeigt hatte.“

Darüber hatte sich niemand so recht beschwert, bis RTL und Sat.1 mit ihren Schmuddelfilmen plötzlich an den Öffentlich-Rechtlichen vorbeizogen: „Das Ziel, die ,Monopolanstalten‘ ARD und ZDF durch Programmvielfalt zu entautorisieren, wurde erreicht“, verkündete Edmund Stoiber vor zwei Jahren in der TV-Zeitschrift Gong – und bald darauf wollte er gleich die ARD ganz abschaffen.

Einen neuen Dreh erhielt die Gewaltdebatte, als die bayrischen Landfrauen zum Boykott gegen Produkte aufriefen, für die im vermeintlichen Gewaltumfeld geworben wurde. Als irritierte Werbekunden im Gewaltprogramm keine Spots mehr schalten wollten, wurde rasch die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) gegründet, um ein offizielles Gremium zur Bestätigung der faktischen Gewaltfreiheit des Privatfernsehens zu haben. Inzwischen hatten die Pamphlete des unter Fachleuten belächelten Augsburger Pädagogen Werner Glogauer ihre Wirkung gezeitigt.

Die Kinderserie ...

Als vor zwei Jahren die zur Tatzeit 10jährigen Vanables und Thomsen in Liverpool einen Zweijährigen ermordeten, suggerierte Glogauer, die beiden Kinder hätten die Tat dem Drehbuch des Horrorvideos „Chucky 3“ nachgeahmt. Vergangenen November wurde schließlich in Norwegen durch eine nichtzufällige Zeitungsente der Erfrierungstod der fünfjährigen Silje Marie Redergard mit der Kinderserie „Power Rangers“ in Verbindung gebracht: Durch seine stete Wiederholung wird der Mythos zum Faktum verklärt. Mit der immer engeren Fixierung der Gewaltdebatte auf Kinder, wurde die bislang nicht nachgewiesene Kausalverbindung zwischen Medieninhalt und Medienwirkung endlich erschlichen. Mehr als 3.000 Studien zum Thema hatten bislang nicht viel Präzises hervorgebracht. Auch Jo Groebels suggestive „70 Bildschirmmorde pro Tag“ sind den Gewaltgegnern keine Hilfe mehr, denn in der Kinderserie „Power Rangers“ fließt kein einziger Tropfen Blut.

... „Power Rangers“

Also verlegte man sich auf eine subtilere Argumentation: Die ins Schußfeld der Gewaltgegner geratenen „Power Rangers“ führten „Gewalt als einziges Mittel zur Konfliktlösung vor“, wiederholte die stellvertretende Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes Schleswig-Holstein, Irene Johns, satte sieben Mal auf einem am Mittwoch in Köln anberaumten „Expertenhearing“ zum Thema. Nachdem RTL die von der FSF zunächst freigegebene Serie werktäglich um halb acht Uhr morgens ausstrahlte, hatte Werner Glogauer den Saarbrücker Kondomhändler Jürgen Frank, der die Serie bis dahin kein einziges Mal gesehen hatte, dazu gebracht, Verfassungsbeschwerde gegen die Kinderserie einzulegen. Wie üblich griff die Presse das Thema gerne auf. Daraufhin forderte die FSF mehr als die drei bisher gesichteten Bänder und gab die „Power Rangers“ nun nur noch für eine Ausstrahlung am Wochenende frei.

Die Gemüter erhitzten sich nun auf allen Seiten, und RTL beraumte schließlich ein Treffen an, um den Experten am Beispiel einer Folge zu zeigen, daß die „Power Rangers“ keine Cartoons sind, wie der Leipziger Medienprofessor Bernd Schorb annahm. Aber auch daß die „Rangers“ in der gezeigten Folge gegen Blumen kämpften, hielt Jens Weidner nicht davon ab, von der „Gewaltelite 2000“ zu sprechen, die durch „Power Rangers“ „systematisch desensibilisiert würden.

Den Einwand des RTL-Hauspsychologen, Dr. Jürgen Blothner, Kinder ab sechs Jahre könnten – so das Ergebnis seiner Studie – auch bei den „Power Rangers“ zwischen Fiktion und Realität unterscheiden, wies Irene Johns als nicht stichhaltig zurück: “Was ist mit Kindern ab drei Jahren?“ Führte Gewaltdarstellung früher auch beim Erwachsenen zur „entsittlichenden Verrohung“, so ist die Problemgruppe nun offiziell auf jene 10 Prozent der fernsehenden Kinder eingeschränkt, die wenig Außenkontakt haben und deren Milieu problematisch ist. Die immer weitergehende Eingrenzung der Problemgruppe suggeriert den Nachweis, Kinder würden durch Fernsehen zunächst nervös und dann gewaltbereit.

Über die Aufsichtspflicht der Eltern wurde auf dem Expertenhearing bewußt nicht diskutiert. Denn das Ziel der Debatte, nicht nur Kinofilme, sondern auch künstlerisch hochwertige Programme wie „Der Amokläufer von Euskirchen“ so zurechtzuschneiden, daß sie dem Niveau von Dreijährigen entsprechen, ist längst erreicht. Zwar warnte Jürgen Grimm vor einem allseitig unanstößigen Programm, das Eltern aus der Pflicht nimmt: „Wenn es eine kritische Obergrenze des für Kinder verträglichen Gewaltquantums gibt, so gibt es mit Sicherheit auch eine kritische Untergrenze.“ Aber da hörte schon niemand mehr zu. Manfred Riepe