Ein bunter Bilderbogen

Das Deutsche Historische Museum in Berlin läßt Kunst, die im Auftrag der DDR entstand, Revue passieren  ■ Von Katrin Bettina Müller

Ein Gespenst wird entmachtet. Der Popanz „Staatskunst“ verliert seine schwarze Aura monumentaler Allgegenwärtigkeit und brutaler Verstümmelung ästhetischer Konzepte in der Ausstellung „Auftrag: Kunst. Bildende Künstler in der DDR zwischen Ästhetik und Politik“, für die das Deutsche Historische Museum 300 Objekte aus Treuhandbesitz und Museen entliehen hat. Statt des Hardcores der ikonographischen Manipulation erwartet den Besucher ein chronologisch geordneter Bilderreigen, der manchmal in seiner Banalität mehr amüsiert als erschüttert.

Als das Deutsche Historische Museum mit der Vorbereitung der Ausstellung begann, besagten die Gerüchte, da würde die DDR- Kunst an den Pranger gestellt. Statt dessen zeigt man Verständnis für allgemein Menschliches.

Verweigerer, Schmuggler, Kaufleute

„Prinzipiell ist es mit den ehemaligen Aufträgen so wie eben immer im Leben“, schrieb der Graphiker Dieter Tucholke an die Projektleiterin Monika Flacke. Sein Zitat liegt der Pressemappe bei: „Einige lehnten sie ganz ab und verdienten das notwendige Geld in anderen Berufen, eine große Gruppe lebte teilweise oder ganz davon und versuchte, so gut es ging, sich an den Kulturfunktionären und ihren Vorstellungen vorbeizuschmuggeln, und wieder andere widmeten sich den Aufgaben, die da gestellt waren, wie Kaufleute: Sie versuchten, ihre Kunden weitgehendst zufriedenzustellen.“ Dies freimütige Bekenntnis läßt eine marktwirtschaftlich orientierte Gesellschaft nicht kalt, denn schließlich müssen auch Künstler leben.

Von der Emphase eines großen humanistischen Anliegens wird allein der erste Teil der Ausstellung (1949–1958) getragen. Mit Spannung und Betroffenheit folgt man den gut dokumentierten Auseinandersetzungen zwischen den politischen Auftraggebern und den Künstlern Max Lingner, Waldemar Grzimek und Fritz Cremer. Die Kompromisse kosteten die Künstler Glaubwürdigkeit und Energie. Unermüdlich schwätzte der Ministerpräsident Otto Grotewohl persönlich Max Lingner in ein Wandbild für das ehemalige Luftfahrtministerium hinein, bis es als Panorama aller gesellschaftlichen Kräfte angenommen war. Waldemar Grzimek mußte erleben, wie sein lebenslustig-bewegtes Heinrich-Heine-Denkmal mangels Heldenpose vom geplanten Standort Museumsinsel in den Volkspark am Weinberg abgeschoben wurde. An der Geschichte des Buchenwalddenkmals von Fritz Cremer läßt sich verfolgen, wie namenlose Häftlinge als „antifaschistische Widerstandskämpfer“ funktionalisiert wurden, um der Vergangenheit der deutschen Kommunisten nachträglich wehrhaften Glanz zu verleihen.

Doch den Konflikten der Klassiker folgt in den sechziger Jahren eine Strecke von Bildern, die ernst zu nehmen heute schwerfällt. Die Bilder „Der neue Anfang“ von Heinrich Witz, „Brigade Mamai“ von Walter Dötsch, „Fahnenheld“ von Harald Thiel und „Mutti kommt heim“ von Fritz Skade halten gnadenlos, was die Titel versprechen. Es verwundert kaum, daß von den Künstlern, die sich mit bescheidenem Vermögen um eine 1:1-Umsetzung der Auftragswünsche mühten, heute nur wenige bekannt sind.

Aus dem Jahr 1970 zeigt die Ausstellung Nikolai Tomskis monumentale Leninplastik, die in der Sowjetunion bestellt wurde. Hinter dem Import verbirgt sich eine allmählich tiefer werdende Kluft zwischen Künstlern und staatlichen Auftraggebern. Das Lenin- Monument war Teil einer schon Anfang der fünfziger Jahre geplanten Strategie, den großen historischen Neubeginn der DDR zu inszenieren. Dazu gehört der Abriß des alten Berlin ebenso wie die Planung von Aufmarschplätzen und Magistralen wie der Stalinallee. Die Denkmäler von Marx, Engels, Stalin, Lenin und Thälmann bildeten in diesem Stadtplanung, Architektur und Kunst umfassenden Konzept nur die Ausrufezeichen in einem alle Funktionen städtischen Lebens umfassenden Text. Aus der Geschichte ihrer verschleppten Planung und aus den teilweise gebliebenen Lücken könnte man mehr über Konflikte der Künstler zwischen Ästhetik und Politik erfahren als aus den verwirklichten Bildern.

Mißglückte politische Durchdringung

Doch die chronologische Ordnung verstellt diese Dimension. Statt dessen reiht die Ausstellung meterweise harmlos scheinende Requisiten auf, hinter denen der in seiner Totalität glücklicherweise nie verwirklichte Anspruch der politischen Durchdringung der Kunst verschwindet. So läßt der Rundgang allmählich ein komisches Gefühl aufkommen: Obwohl die Ausstellungsdokumente und erst recht der Katalog ausführlich über Auftragsvergabe, Querelen und Rezeptionsgeschichte informieren, scheint sich die Kunst aus den Zentren der Diskussion zu entfernen.

Die zeitliche Gliederung dient dem Deutschen Historischen Museum auch, um seine These zu illustrieren, daß sich die Kunst in den letzten zwanzig Jahren der DDR zunehmend der politischen Instrumentalisierung verweigert habe. Als Paradebeispiel einer eigenwilligen künstlerischen Selbstbehauptung, die den Staat fast schon als Kulisse der eigenen Entfaltung benutzt, wird das Bauernkriegspanorama von Werner Tübke vorgestellt, Grundsteinlegung 1974, der Öffentlichkeit 1989 übergeben. Doch daß sich der gefeierte Star unter den Malern der DDR seinen größten Auftritt in einem Genre verschafft, das vor allem der nationalen Glorifizierung im 19. Jahrhundert diente, läßt den Anspruch ästhetischer Autonomie unter ein merkwürdiges Vorzeichen rutschen.

Eher schon überzeugt Michael Morgners großformatiger Bilderfries „Die Probleme des menschlichen Seins“, in Auftrag gegeben für ein Erholungsheim des FDGB, von der Unbeirrbarkeit des Künstlers. Mit Schemen von zusammengekauerten, eingesponnenen und in ihrer Aktion sehr reduzierten Figuren erzählt Morgner in blauorange glühenden Farbkontrasten von Zuständen der Angst und Bedrückung. Von Morgners mangelndem Optimismus hofften die Auftraggeber mit einer davor plazierten Marx-Büste von Fritz Cremer ablenken zu können. Um dieser Relativierung zu entgehen, regte der Maler an, seine Bilder im Speisesaal, statt – wie geplant – im Foyer aufzuhängen.

Fast bis unterhalb der Schwelle des Erkennbaren hat sich der staatliche Einfluß in vielen Arbeiten der achtziger Jahre zurückgezogen. Teilweise erlaubte das Verständnis der Kulturfunktionäre für die Künstler, frei entstandene Arbeiten nachträglich als Auftrag zu deklarieren. Doch mit dieser einerseits befreienden Praxis war der Apparat der Kunstkontrolle andererseits bis in subjektive Rückzugsorte eingedrungen – je schmerzloser dies geschah, desto ungreifbarer wurde seine Macht. Die Rückstände, die er hinterließ, liegen oft im Festhalten am traditionellen Gattungsgefüge, in der konservativen Bildsprache, der Suche nach dem allgemeinverbindlichen Symbol. Die Auftragskunst sicherte nicht nur materiell die Basis der Produktion vieler Künstler – mehr noch sicherte sie das Vertrauen in die gesellschaftliche Funktion der Kunst.

Dies gilt sogar noch für jene Künstler, die vom Verband und damit von der Auftragsvergabe ausgeschlossen waren, denn sie fanden in der Verweigerung der Vereinnahmung ihren Sinn. Ohne die politische Beanspruchung der Künste hätte die Kunst nie jenen Status als Politikersatz erhalten können, der jeden Anschein von Opposition mit Bedeutung auflud.

Förderung und Auftrag

Die Ausstellung setzt Aufträge des Ministeriums für Aufbau, des Zentralkomitees der SED, von Kombinaten, Kommunen und dem Kulturbund nebeneinander – jede Form der Förderung erscheint so letztendlich als Auftrag. Dabei wird das Bedeutungsgefälle zwischen prominenten Orten und Nebenschauplätzen verwischt.

Verloren geht eine Differenzierung zwischen alltäglich gegenwärtiger Propaganda, die sich in der Randunschärfe verlor und niemandem eine Auseinandersetzung abverlangte, und einem künstlerischen Potential, das innerhalb der Auftragsbedingungen die größtmögliche Reibung riskierte. Im Deutschen Historischen Museum wird alles zum bunten Bilderbogen in einem Buch, das man am Ende beruhigt schließen kann.

„Auftrag: Kunst“ im Deutschen Historischen Museum, bis 18. April, Katalog 48 DM