„Der Bruderkuß ist abgeschafft“

Die PDS inszeniert mit Angela Marquardt und Sahra Wagenknecht, zwei jungen Frauen, ihren Strömungskampf  ■ Von Bascha Mika

Karl-Liebknecht-Haus. Die PDS-Zentrale in Berlin. Vorstandssitzung. Parteichef Bisky begrüßt die eintreffenden GenossInnen. Hier klopft er auf eine Schulter, da nimmt er jemanden beim Arm. Für Angela Marquardt hat er ein Lächeln. Sie ist klein, schmal, kommt in Jeans und bunter Weste. Die Haare über den Ohren sind radikal kurz, die Stirnsträhne hat sie grün gefärbt. Sie grinst, sommersprossig, und tätschelt Biskys Wange.

Die andere Genossin steht derweil etwas entfernt, allein. Weiße Rüschenbluse, herzförmiges Puppengesicht, aufgestecktes Haar: Sahra Wagenknecht. Als „stalinistisches Teufelchen“ geistert sie durch die Medien, die Marquardt als radikal-reformerisches Engelchen.

Die beiden Frauen wirken auf den ersten Blick extrem typisiert – das macht es auch ihrer Partei leicht, den Strömungskampf, der den PDS-Parteitag an diesem Wochenende bestimmen wird, als Personality-Show zu inszenieren. Beide sind jung, ehrgeizig und seit drei Jahren im Vorstand der PDS. Sahra Wagenknecht trägt das Banner der Kommunistischen Plattform, Angela Marquardt das der „AG Junge GenossInnen“.

Die SED-Nachfolgepartei hat die unausweichliche Identitätsdebatte auf die lange Bank geschoben. Die Wahlerfolge vom letzten Jahr bedienten noch einmal das „Wir-Gefühl“ der GenossInnen, doch nun ziehen die ReformerInnen gegen die StalinistInnen zu Felde. „Mehr Sozialdemokratie rein, Stalinismus raus“ heißt das Motto von Parteichef Bisky und PR-Manager Gregor Gysi. Zehn Thesen für die Zukunft haben sie formuliert und dem Parteitag fünf Punkte zur Diskussion der einen Frage vorgelegt: „Wie halten wir es mit der Vergangenheit?“

„Stalinismus, Stalinismus!“ erregt sich Sahra Wagenknecht in ihrem winzigen Büro im Karl-Liebknecht-Haus, das muß man doch erst mal definieren ...“ Marx und Engels schauen von der Wand auf sie herunter. Wagenknecht doziert. Der Sozialismus unter Stalin sei ein entstellter Sozialismus gewesen, „aber man kann doch drei Jahrzehnte sowjetischer Geschichte nicht darauf reduzieren“. Und daß es keine Periode in der Geschichte der DDR gebe, „die ich nicht verteidigen würde“. Der künftige Sozialismus würde sich zwar mehr Demokratie leisten können, aber „in Situationen extremster Zuspitzung muß Demokratie eingeschränkt werden“.

Sobald es um stalinistische Verbrechen und DDR-Unrecht geht, versteckt sich Wagenknecht stets hinter denselben Ausflüchten: die historischen Bedingungen, der Druck aus dem kapitalistischen Ausland. Verdrehungen und Verharmlosungen, die es ihrem Parteivorsitzenden Bisky „kalt den Rücken“ hinunterlaufen lassen.

Bisky will Wagenknecht nicht mehr im Parteivorstand sehen. Mit Rücktrittsdrohungen und „Erpressung“ (O-Ton Bisky) will er auf dem Parteitag die Teufelsaustreibung. Stalinistische Auffassungen hätten in der PDS nichts zu suchen. Mediengerecht dämonisiert der einstige Hochschullehrer Bisky die Genossin schon mal als „Frau mit den kalten Augen“. Sie solle lieber direkt gegen ihn antreten und für den Parteivorsitz kandidieren, meint er trocken. Und Gregor Gysi will sich nicht noch einmal in den Vorstand wählen lassen, wenn Wagenknecht an ihrer Kandidatur festhält. Am liebsten würden beide die ganze Kommunistische Plattform in die Wüste jagen. Aber die PDS-Basis, ein großer Teil im Rentenalter, hängt am Alten.

Sahra Wagenknecht will kandidieren. „Was momentan läuft, ist reine Denunziation.“ Daß die Bild-Zeitung sie „blöd anmache“, könne sie aushalten, weh tun ihr die GenossInnen: „Den sozialistischen Bruderkuß gibt es schon lange nicht mehr.“ Sonderlich gut gehe es ihr nicht. Ihre Kleinmädchenstimme bleibt ausdruckslos, ihr glattes Gesicht unbewegt. Sie hat sich verschanzt. Ihre Dogmen scheinen ihr Sicherheit zu geben.

25 Jahre alt ist Sahra Wagenknecht, doch das versucht sie möglichst zu kaschieren. Mit Make-up, das ihr jugendliches Gesicht zukleistert, mit einer Frisur, die an Rosa Luxemburg erinnert: „Blanker Unsinn, damit will man mir nur eine Epigonenhaltung unterschieben. Ich trage diese Frisur schon seit acht Jahren.“

Vor acht Jahren war sie noch nicht einmal in der SED. Erst mit 19 Jahren trat sie ein, da war es mit der Partei schon so gut wie vorbei. In der PDS wurde sie schnell zur Vorzeigefrau der Altkader, die sich in der Kommunistischen Plattform sammelten. „Ich komm' mit Männern gut aus“, erklärt Wagenknecht, „besser als mit Frauen.“ In Jena ist sie geboren, in Ost-Berlin bei der Mutter aufgewachsen. Verheiratet ist sie nicht, aber Zeit für Beziehungen nehme sie sich schon, „sonst würde ich das alles nicht durchhalten“. An der Humboldt- Uni hat sie angefangen Philosophie zu studieren, jetzt schreibt sie im holländischen Groningen ihre Magisterarbeit über die Hegel-Rezeption bei Marx. Ihre Zukunft? „Eigentlich will ich marxistische Theorie machen, nicht Politik.“

Und ihr Verhältnis zur Genossin Marquardt? Von der Parteispitze gehätschelt und von Parteichef Bisky als seine Stellvertreterin vorgeschlagen? „Na ja, grundlegende Unterschiede gibt es in der Bewertung der DDR. Aber wir kritisieren beide den Anpassungskurs an die Sozialdemokratie.“

Harte Worte findet Sahra Wagenknecht für ihr Alter ego nicht. Marquardt hockt derweil unterm Dach im Karl-Liebknecht-Haus, in den buntgestrichenen Räumen der „AG Junge GenossInnen“. Rockmusik dröhnt. Die Beine auf dem Tisch, hängt Marquardt erschöpft auf dem Sofa. Auch an ihr ist der Grabenkrieg über die künftige Parteilinie nicht spurlos vorübergegangen. Nur hat sie die bessere Rolle erwischt. Wo Wagenknecht aus der Partei herausgedrängt werden soll, wird sie von Bisky in ein wichtiges Amt hineingedrängt. Mit 23 Jahren.

„Als ich das hörte, hab' ich zuerst mal schallend gelacht. Jetzt brauchen sie eine personifizierte Erneuerung in der Führungsspitze, war mein Gedanke.“ Jetzt lacht sie nicht mehr, sondern überlegt, ob sie sich das Amt zutraut. Es reizt sie, man sieht es ihr an. „Auf die Diskussion, wofür ich inhaltlich stehe, wäre ich schon sehr gespannt.“ Inhaltliche Positionen sind: klare Absage an stalinistische Positionen, offensive Vergangenheitsaufarbeitung.

An diesem Punkt kommt sie mit Wagenknecht nicht klar: „Hier prallen Gegensätze aufeinander.“ Doch ihre Abgrenzung kommt sachlich. „Sahra verherrlicht stalinistische Positionen und hat ein anderes Gesellschaftsbild. Für mich ist Demokratie die Grundlage. Da geht es nicht um ein Mehr oder Weniger.“ Sie habe Probleme mit solchen Leuten in der PDS, weil es um Glaubwürdigkeit und Bündnisfähigkeit gehe. „Aber ich will mich doch nicht zur Richterin aufspielen.“ Sie redet schnell, fast atemlos. „Alle tun so, als ginge es nur noch um die Frage: stalinistische Sahra oder linksradikale Marquardt.“

Dabei sind beide Frauen für viele GenossInnen schwer verdaulich. Denn Angela Marquardt paßt zwar in „Gysis bunte Truppe“, aber nicht ins Bild altgedienter GenossInnen. In den Bundesvorstand wurde sie als Ziehkind von Gregor Gysi gewählt. Allein durch ihr Outfit stilisiert sie sich antibürgerlich, betont ihre Nähe zur Antifa- und Hausbesetzerszene. Ihre Biographie ist eine Mischung aus Anpassung und Trotz.

Wie Wagenknecht wurde Marquardt lange Zeit allein von der Mutter erzogen, „antiautoritär“, sagt sie. Judobesessen war die jugendliche Greifswalderin und wollte NVA-Sportoffizier werden. Als sie merkte, daß ihr das als Frau trotz ihrer sportlichen Erfolge nicht gelingen würde, machte sie auf dem Absatz kehrt und entdeckte die Theologie. Über die Evangelische Studentengemeinde mischte sie im Neuen Forum mit. Doch die Bürgerbewegten waren ihr zu sehr auf die Vergangenheit fixiert. Sie zog in ein besetztes Haus und kam über ein Jugendprojekt zur „AG Junge GenossInnen“. Im April will sie anfangen Politik und Soziologie zu studieren.

Nicht frei von Eitelkeit, kokettiert sie: „Wenn ich Vizechefin der PDS werde, könnte das für die Führungscrew auch nach hinten losgehen. Ist recht mutig von denen. Denn ich bin ziemlich offen.“ Von Gregor Gysi und Lothar Bisky fühlt sie sich „ernst genommen. Das sind Parteifreunde, keine Vaterfiguren.“

Doch die Entscheidung, ob sie überhaupt für den Parteivorsitz kandidieren wird, will sie sich bis zum letzten Moment offenhalten.