Messen mit zweierlei Maß

■ Mitleid für den Iren-Mörder Lee Clegg in England

Dublin (taz) – Lee Clegg ist Soldat und Mörder. Deshalb ist er vor drei Jahren von einem nordirischen Gericht zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Aber Clegg ist in England neuerdings auch Ziel einer Mitleidskampagne, wie sie sonst nur Kälbern zugute kommt, denen der Weg in französische Mastboxen droht. Auslöser der Kampagne ist die Entscheidung des Oberhauses in der vergangenen Woche, Cleggs Berufung abzulehnen.

Der heute 26jährige hatte als Mitglied des 3. Britischen Fallschirmjägerregiments bei einer Straßenkontrolle in Belfast die 17jährige Karen Reilly erschossen. Sie saß auf dem Beifahrersitz eines gestohlenen Vauxhall Astra. Der Fahrer, der ebenfalls 17jährige Martin Peake, starb später im Krankenhaus. Clegg behauptete, er habe die beiden Joyrider für Terroristen gehalten. Aber er hatte erst geschossen, als die vermeintliche Gefahr längst vorbei war. Außerdem sagte ein Polizist vor Gericht aus, daß mehrere Soldaten nach den Schüssen einen ihrer Kameraden mit einem Gewehrkolben traktierten.

Nach der Ablehnung der Berufung rief die englische Sun jetzt eine Unterschriftenaktion „Gerechtigkeit für den Soldaten Clegg“ ins Leben. Kriegsveteranen drohen mit Boykott der Gedenkfeiern für den Weltkrieg. Beim BBC-Frühstücksfernsehen gingen mehr als 200.000 Anrufe mit Sympathiebekundungen für Clegg ein. Innenminister Michael Howard kündigte sogar eine Gesetzesänderung an, wonach Mord nicht mehr automatisch mit lebenslänglicher Haft bestraft werden soll.

Ganz findig argumentiert freilich die Daily Mail. Clegg sei von einem nordirschen Diplock-Gericht mit nur einem Richter, aber ohne Geschworene verurteilt worden, moniert das Blatt. Offenbar ist der Zeitung entgangen, daß Tausende von Menschen in den vergangenen 23 Jahren von eben diesen Diplock-Gerichten – benannt nach ihrem „Erfinder“, Lord Diplock – verurteilt worden sind. Meist handelte es sich dabei allerdings um NordirInnen.

In Irland hat die Aufregung um Clegg Erstaunen ausgelöst. Die britischen Fallschirmjäger sind hier noch als schießfreudige Truppe in Erinnerung. Nach den Schüssen auf die beiden Joyrider feierten die Soldaten ihre Tat in der Kaserne, indem sie ein Auto und einen blutverschmierten Kopf aus Pappmachée bastelten. Daneben hängten sie ein Plakat, auf dem es in Anlehnung an die Vauxhall- Werbung hieß: „Astra: Von Robotern gebaut. Von Joyridern gefahren. Von der A-Kompanie gestoppt.“ Ralf Sotscheck