Keine Amateurtherapeuten gegen Rechts

■ Expertin fordert emotionaleren Umgang mit Rechtsextremismus, PädagogInnen fürchten, daß die Kids dann noch radikaler werden / ein Vortrag in der Angestelltenkammer

Man muß sich schon auf rechtsradikale Jugendliche einlassen. Man muß versuchen, sie zu verstehen, um dann ganz eindeutig „nein“ zu sagen. Das ist das Fazit von Thea Bauriedl vom Münchner Institut für politische Psychoanalyse. Thea Bauriedl war am Wochenende als vierte Referentin der Reihe „Rechtsextremismus: verdrängen, bekämpfen, verstehen?“ zu Gast in der Bremer Angestellenkammer.

„Ich möchte aber kein Amateurtherapeut sein“, gab ein Zuhörer, offensichtlich mit dem Problem im Alltag konfrontiert, zu bedenken und fand dafür viel Echo aus dem dichtgedrängten Publikum – viele SozialpädagogInnen, viele LehrerInnen. Rechtsextremismus verstehen bedeute für sie ja nicht, „in dem anderen zu verschwinden“, beschwichtigte die Psychoanalytikerin. Ihr gehe es vielmehr darum, nach den Motiven für den Rechtsextremismus bei Jugendlichen zu suchen und den psychischen Ursachen dafür nachzuspüren. Halte man sich nur fern, entwickele man keine Abwehrkräfte und laufe Gefahr, sich selbst anzustecken.

„Wir müssen uns den Nährboden für Rechtsextremismus klar machen“, sagte Thea Bauriedl. Dieser fange bei dem gewaltigen Gewaltpotential in unserer Gesellschaft an – Korruption, Amtsmißbrauch, Umweltzerstörung – und ende bei den Leerphrasen in Sachen Drittes Reich, die sich nur in Jahreszahlen und Zahlen der Ermordeten ergingen. „Da ist Trauerarbeit versäumt worden, und so wiederholen sich die Phantasien der Großeltern und Eltern bei den Jugendlichen“, so die Analytikerin. Die Eltern erhofften sich die Restauration ihrer Identität, die Kriegsveteranen hätten nie geredet, nie bedauert. „Sind wir überhaupt fähig, zu leiden?“ fragte Thea Bauriedl am 50. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. „Wir dürfen uns auch heute nicht abwenden und den Konflikt mit den Jugendlichen scheuen.“

„Soll man es rechtsradikalen Jugendlichen wirklich leicht machen, sich zu artikulieren, womöglich vor der Klasse?“ wandte ein Lehrer ein. „Seien Sie ihnen ein Gegenüber, das sich weder unterordnet, noch sich über sie stellt“, gab Thea Bauriedl zur Antwort. Sie arbeitet selbst in Bayern als Supervisorin für Einrichtungen in der Sozialarbeit. Einige rechtsradikale Jugendliche hat sie sogar dazu bewegen können, zu ihr in die Therapie zu kommen. Dort versucht sie, mit den Kids deren Scheinidentitäten abzubauen, die sich aus Angst, Protest und Minderwertigkeitsgefühlen zusammensetzen. „Wir dürfen dem Rechtsextremismus keine Öffentlichkeit bieten, aber wir müssen uns offen mit seinen Inhalten und dem Gewaltphänomen auseinanderstzen“, plädierte die Referentin.

Alle seien dem emotionalen Machtpotential des Rechtsextremismus ausgeliefert; auch die Nazisymbole, die von den Jugendlichen vorgeschoben werden, benutzten diese weniger wegen ihrer inhaltlichen, sondern wegen ihrer emotionalen Wirkung. „Das ist auch ein gesellschaftlicher Mangel“, so die Psychoanalytikerin. „Wir dürfen nicht immer erst darauf warten, was der Zentralrat der Juden sagt, wir dürfen nicht kollektiv in Resignation rutschen, sondern müssen die Strafbarkeit der Auschwitzlüge diskutieren.“ Die anderen zu entwerten, sei nicht die Lösung, man müsse sich um eine eigene Definitionsmacht bemühen. „Ich reg mich auf, daß Deserteure aus dem Zweiten Weltkrieg nicht rehabilitiert werden!“

Das Problem, ständig zwischen Über- und Unterwertigkeitsgefühlen hin- und herzuschwanken, sei ein allgemeines, so die Analytikerin. Sie riet deshalb den anwesenden PädagogInnen, mehr im Kollegium über die eigenen Unfähigkeiten und Ängste zu sprechen, sich nicht zu schämen, sondern sich auszutauschen. „Bleiben Sie mit Ihren eigenen Gefühlen dabei, da fällt Ihnen dann schon was ein. Mit 12- und 15-jährigen kann man doch reden.“ Wichtig aber sei es, dem aktiven Interesse an den Jugendlichen ein eindeutiges Zeichen folgen zu lassen, mit dem Tenor „So wollen wir es, so nicht“.

Ein leichtes Unbehagen blieb im Raum, als Thea Bauriedl die Anwesenden wieder in ihren Alltag entließ. Zuvor hatte noch eine Mitarbeiterin vom Bremer Verein für akzeptierende Jugendarbeit sich gefreut, endlich auch mal eine Bestätigung für die umstrittene Arbeit des Vereins erhalten zu haben. Und eine Medienfrau, die mehrere Monate mit rechtsradikalen Jugendlichen („von wegen Skinheads!“) für ein Filmprojekt zusammengelebt hat, hatte nochmals die Notwenigkeit unterstrichen, aufrichtig zu bleiben: „Die Jungs hätten mir die Vorderzähne poliert, wenn ich gesagt hätte, ,Du, ich versteh' euch, emotional, irgendwie'.“

Silvia Plahl

Am 6.2. wird die Reihe mit einer szenischen Lesung aus dem Buch „Unheilbar deutsch – Rechte Schicksale und Lebensläufe“ von Peter Sichrovsky fortgesetzt. 20 Uhr. Bürgerstr. 1