Kultur dient nur noch als Sparschwein

■ Hilmar Hoffmann, Präsident des Goethe-Instituts und und langjähriger Kulturdezernent von Frankfurt/Main, zur Situation der Berliner Kulturlandschaft: Das kulturelle Selbstverständnis der Metropole...

taz: Theater müssen sich rechnen und Marktwirtschaft ist alles. Ist das ein Weg für die Kultur in Berlin?

Hilmar Hoffmann: Kultur hat keine Konjunktur mehr, sondern Kultur dient heute den Finanzpolitikern als Sparschwein, weil man glaubt, daß man mit anderen Themen Wähler eher gewinnen kann als mit der Kultur. Für viele Politiker ist die Kultur jetzt eine lästige Bürde geworden. Die leiden unter Erklärungsmangel gegenüber ihren Wählern, warum auch Kultur in schwierigen Zeiten genauso wichtig ist wie Sozialpolitik.

Man kann aber in der Kultur nicht von einem Jahr aufs andere rigoros kürzen, weil dann Dinge irreparabel kaputtgehen. Dabei können Ausgaben in der Kulturpolitik langfristig Ausgaben in der Sozialpolitik ersparen, indem man jetzt Alternativen zum tristen Alltag beispielsweise von arbeitslosen Jugendlichen durch eine kulturelle Angebotspalette schafft. Das sind dann nicht unbedingt die großen Opernhäuser, sondern das ist die alternative Kultur. Diese Off- Szene jedoch kommt in Berlin zu kurz – aber nicht nur in Berlin.

In Berlin scheint zu gelten, daß Kultur ein Luxusgut für bessere Zeiten ist, obwohl die Kultur an der Nahtstelle beider Teile Deutschlands eine wichtige Funktion haben könnte.

Es war richtig, daß wir damals alle hart protestiert haben gegen die Schließung des Schiller Theaters. Das hat zwar die Schließung nicht verhindert, hat aber beim Kultursenator zu einem Bewußtseinswandel geführt. Der lehnt sich in letzter Zeit weit aus dem Fenster, um die Substanz der Kultur in Berlin zu erhalten. Wenn man aber überlegt, daß Berlin jetzt auch noch Hauptstadt ist, also den Vergleich aushalten muß mit anderen kulturellen Hauptstädten wie Paris, New York und London, dann muß die Berliner Politik ein ganz anderes Bewußtsein entwickeln für das kulturelle Selbstverständnis der Metropole.

Berlin ist pleite. Reicht das als Argument für Kürzungen des Kulturetats?

Nein, das reicht überhaupt nicht. In den zwanziger Jahren hatte Berlin eine ständige Herausforderung durch den Ehrgeiz der Stadt München. Diese Konkurrenz hat Berlin geholfen, immer die Nummer eins zu bleiben. Heute gibt es außer München noch Hamburg, Frankfurt, Köln, Dresden, Leipzig und Stuttgart. Heute müßten diese Städte das sein, was München mal war – die Herausforderung für Berlin, der kulturelle Trendsetter zu werden.

Kann die Berliner Kulturlandschaft, die auch eine gesellschaftliche Funktion erfüllt, ohne Subventionierung leben?

Es redet kein Mensch darüber, daß Schulen und Universitäten staatlicherseits voll subventioniert werden. So selbstverständlich muß man auch das kulturelle Angebot finanzieren. Kultur ist einfach ein Lebensmittel geworden, mit dessen Ressourcen man sich weiterbilden und auch Widersprüche entwickeln kann. Gesellschaftliche Krisenphänomene können nur mit Hilfe der Kultur aufgearbeitet werden.

Wir haben in Berlin im Theaterbereich ein Zweiklassensystem. Die kleineren Bühnen müssen sich schon jetzt mühselig privat finanzieren. Daneben gibt es drei Opernhäuser mit jeweils über achtzig Millionen Mark Staatszuschuß. Ist das gut so?

Die Theater der alternativen Szene sind mindestens ebenso wichtig wie die großen Häuser. Einsparmöglichkeiten bei den großen Häusern sollte man produktiv nutzen. Wenn wir in Frankfurt drei Opern hätten wie in Berlin, dann würde ich sagen, da genügt eine Verwaltung für alle drei Opernhäuser. Das hat nicht nur den Vorteil, daß Sie in der Verwaltung einsparen. Vor allem sind die Sänger, Musiker und Techniker dann einem Arbeitgeber verpflichtet. Der könnte sie auch in anderen Häusern einsetzen. Heute werden Orchestermusiker teuer an ein anderes Opernhaus ausgeliehen, wenn dort jemand krank wird.

Einen Anspruch auf einen Bestandschutz für die staatlich subventionierten Häuser kann es aber nicht geben. Nehmen Sie das 1993 geschlossene Schiller Theater – das war doch ein Dinosaurier.

Das Schiller Theater ist vielleicht ein schlechtes Beispiel, weil es zum Zeitpunkt, wo es geschlossen wurde, nicht mehr die Qualität hatte wie zehn Jahre zuvor. Das Schiller Theater hatte sich durch qualitative Konkurrenz mehr oder weniger überflüssig gemacht. Wo eine Instutition sich selbst überflüssig macht, muß man ihr auch nicht nachtrauern. Aber die großen Dinosaurier haben doch ihre Funktion. Gerade an den Theatern in Ostberlin, wo es noch wirklich ein Ensemble gibt, das brillantes Theater macht. Das wird ja angenommen. Die Leute, die dort hingehen, finden außer Vergnügen das an Aufklärung, was sie brauchen für ihre Selbstreflexion.

Nach dem Mauerfall träumten einige davon, daß sich das kulturelle Potential Berlins noch vergrößert und europaweite Ausstrahlung bekommt. Fünf Jahre später haben wir weniger Kultur, nicht mehr. Hat Berlin seine Chancen schon vertan?

Berlin hätte erkennen müssen, daß die kulturellen Angebote, aber auch die Künstler und das teilhabende Publikum eine Chance sind, die Gegensätze zwischen Ost und West über eine Gemeinsamkeit aufzulösen. Kultur offensiv als ein Bindemittel zu nutzen – das ist versäumt worden. Was den internationalen Vergleich betrift, so brauchen sie nur Frankreich zu nehmen. Da hat der Pariser Bürgermeister Chirac seine Jahresbudgetkonferenz nicht im Rathaus abgehalten, sondern im Museum für Moderne Kunst. Dort hat er unter den Bildern von Matisse erklärt, wir haben zwar siebzehn Prozent weniger Steuereinnahmen für 1994, aber in der Kultur wird kein Franc gespart. Da ist der Unterschied: Die Grande Nation ist Synonym für einen Kulturstaat, die Bundesrepublik ist Synonym für Sozialstaat. Ich will die Aktivitäten im Sozialbereich nicht gering schätzen, aber es muß beides gleichberechtigt im Bewußtsein der Politiker verankert sein.

Interview: Gerd Nowakowski