■ Standbild: Mitleid / "Westerdeich"
„Westerdeich“, Sonntag, 19.10 Uhr, RTL
Das Küstenstädtchen Westerdeich ist beschaulich, aber keineswegs problemfrei: Gisela Kant nimmt ihren Exgeliebten wieder auf, der einst versucht hat, ihre Tochter zu vergewaltigen. Der Heimgekehrte signalisiert Läuterung. Gisela Kant glaubt ihm, Tochter Lisa freilich ist entsetzt und wird wohl das gemeinsame Heim verlassen. Derweil streiten sich Andrea und Frank Kuhnert um das Sorgerecht für ihr Kind, der freundliche Dorfpolizist erwartet seine im Ausland lebende Tochter, und alle treffen sich in der Kneipe des schlitzohrigen Rudi, der neuerdings auch Frühstück serviert ...
Der gemütliche Rudi lispelt, kleinere Versprecher der Darsteller werden bewußt nicht korrigiert. Im vorgeführten Milieu redet eben kaum jemand fehlerfrei. Die Dialoge sind unprätentiös und durchaus charaktergenau. Bewegten sich die Protagonisten der Super-Soaps der Achtziger wie „Denver- Clan“ und „Dallas“ auf einer alltagsfernen, phantastisch ausgestatteten und gewollt irrealen Hochebene, widmet sich die Gattung „Melodram“ seit geraumer Zeit wieder bodenständigeren Sujets und knüpft damit an ihre ursprüngliche Bestimmung des Mitleidens an.
Formgetreu zeigt „Westerdeich“ Menschen, deren Existenz durchaus vorstellbar ist. Das Personal bietet ausreichend Identifikationsfiguren, und die Serie könnte ihr Publikum finden – unter jenen, die sonntags nach der „Lindenstraße“ noch ein Stündchen der Hingabe vor dem Fernseher verbringen möchten – wenn sich nicht einige Mitwirkende in quälender Laienspielmanier verbreiten würden. Derart spröde Theatralik macht die vorgespiegelte Spontaneität unglaubwürdig. Rechte Anteilnahme kommt so denn doch nicht auf. Harald Keller
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