Extrablatt! elektronisch!

■ In Bremen geht heute die erste deutsche Kabelzeitung an den Start. Gefragt sind vor allem kurze, schnelle Lokalnachrichten und Service

Von Gunter Becker

Jandirk Ebel kommt ins Büro geschossen, leicht verspätet zum Interviewtermin. Das sei ihm verziehen, denn um ihn brennt die Luft, so kurz vorm Sendestart. Heute um 12 Uhr ist High-noon für ein neues Produkt im Bremer und Bremerhavener Kabelnetz, die Kabelzeitung geht auf Sendung. Ebel ist einer der beiden Geschäftsführer der DKZ, der Deutschen Kabelzeitungsgesellschaft.

Was von KollegInnen der schreibenden Zunft schon im Vorfeld „Testfahrt auf der Datenautobahn“ genannt worden ist, erweckt beim interessierten Laien zuächst einmal Skepsis. Eine Zeitung im Fernsehen? Wer soll sich sowas denn angucken? Schon beim Frühstücksbrötchen in die Glotze starren, statt gemütlich durch den Sport zu blättern? Jandirk Ebel winkt ab: Das sei die falsche Herangehensweise. Die Kabelzeitung funkioniere weder als Ersatz für die morgendliche Lektüre des Wese-Kurier noch als Alternative zum abendlichen Bremer TV-Magazin „Buten & Binnen“.

Aktualität statt Hintergrund

Vielmehr erlaube die „elektronische Zeitung“ eine „neuartige Nutzungsweise“. Tatsächlich dürfte das Bildschirmblatt in Sachen journalistischer Quantität hinter den lokalen Druckerzeugnissen zurückbleiben. Gefragt sind hier keine ausrecherchierten Berichte, sondern Kurzmeldungen. Aktualität ist alles, und das dazugehörige Unterfutter muß sich die LeserInnenschaft aus der Lokalpresse oder dem Regionalprogramm des Fernsehens besorgen.

Ein „Dummy“ im Videorecorder schafft dem künftigen Zeitungsseher einen ersten Eindruck. Jede Ausgabe wird eine 20minütige Abfolge von Textseiten auf graphischen Hintergründen sein. Die standardisierten Graphiken signalisieren Themen. So gibt's auf einer farblich verfremdeten Ansicht des Schauspielhauses Theatertips. 55 verschiedene Motive für 55 thematische Schwerpunkte („in flagranti“ bietet Neues über Bremer Prominente).

Seine historischen Wurzeln hat das Medium Kabelzeitung in den Niederlanden, wo seit über zehn Jahren in den meisten Kabelnetzen elektronische Bildschirmzeitungen ausgestrahlt werden. In Bremen schlossen sich zum selben Zweck im vergangenen Jahr die großen Zeitungsverlage des Weser-Kurier und der Bremerhavener Nordsee-Zeitung mit holländischen Unternehmen zusammen. Während die Lizensierungsverfahren durch die Bremische Landesmedienanstalt gab es dann noch diverse Umbesetzungen im Anbieterkonsortium. Radio Bremen, ursprünglich mit zehn Prozent eingeplant, ist jetzt draußen, eine Konzertagentur und eine Film-Fernseh-Produktion sind reingerutscht.

Die Landesmedienanstalt behandelt das neue Produkt im Kabel wie ein reguläres TV-Programm. Die Kontrollbehörde verlangt vier Fünftel Information und Unterhaltung und erlaubt ein Fünftel Werbung. „Infos“, das sind vor allem lokale Nachrichten von der Kommunalpolitik bis zum Polizeibericht und dem Staumelder, dazwischen gibt es immer mal wieder eine Werbetafel.

Auf meine Frage, was die Werbekunden dazu animieren sollte, von den Anzeigenseiten der Tageszeitungen und Zeitschriften auf die Mattscheibe überzuwechseln, antwortet mein Gegenüber mit einem Paß in die Tiefe. Der Geschäftsführer erläutert die Werbemöglichkeiten: Die Fülle der möglichen Produktinformationen gehen bei der Kabelzeitung über ein Plakat im Bildschirmformat weit hinaus. Den Werbekunden steht in einer 20minütigen Schleife vielmehr ein komplexes Videotextsystem zur Verfügung.

Einfaches Beispiel: Die Bundesbahn schaltet in der Schleife eine Anzeige für ihr „Guten Abend“- Ticket. Wenn TV-ZuschauerInnen, neugierig geworden, mit ihrer Fernbedienung eine dreistellige Zahl wählen, die in einer Bildschirmecke über der Anzeige eingeblendet wird, befinden sie sich plötzlich mitten in der wunderbaren Welt des Bahnreisens. Auf bis zu 20 Videotextseiten kann man dann alle möglichen Bahninfos abrufen, vom aktuellen Fahrplan bis zu den Preisen für die Gepäckaufbewahrung. Praktisch für alle, die schon mal versucht haben, über die Telefonnummer der Reisezugauskunft eilig einen Anschlußzug abzufragen. Gleichzeitig ein verlockendes Angebot für das „Unternehmen Zukunft“, das so im hochverkabelten Bremen potentiell an über 90 Prozent der TV-Haushalte herankommen könnte.

Basteln an lokaler Daten-Infrastruktur

Ein anderes Beispiel: Der Bremer Landessportbund hat in den beiden Städten Bremen und Bremerhaven zigtausend eingetragene Gefolgsleute. Über eine Anzeigenseite in der Kabelzeitung und den dazugehörigen Videotextseiten könnten vereinsinterne Infos bis hin zu den aktuellen Trainingszeiten der Fußball-E-Jugend oder die Bitte um Einzahlung rückständiger Monatsbeiträge publiziert werden. Hier könnte, so träumen die Kabelzeitungs-Macher, so etwas wie eine Daten-Infrastruktur für alle möglichen gesellschaftlichen und kommerziellen Organisationen entstehen.

Mit der Akquise von Werbekunden im Vorfeld des Sendestartes zeigt sich Ebel hochzufrieden. Die Einzelseiten in der „Karussell“ genannten Schleife mit den dazugehörigen Videotextseiten seien gefragt und würden nur für mindestens ein Vierteljahr vergeben.

Die Verantwortlichen betonen, das Projekt sei ausdrücklich nicht als Vorstufe für ein lokales Verlegerfernsehen gedacht. Trotzdem könnten hier, im kleineren Rahmen, schon mal die Optionen in Sachen elektronische, interaktive Medien durchgecheckt werden.

Möglicherweise haben die beteiligten Presseunternehmen aber noch ein anderes Motiv: den drohenden Schwund von AnzeigenkundInnen in Richtung Privatfernsehen. „Sat.1-Text“ zieht schon jetzt 40.000 bis 60.000 Anzeigen im Jahr an Land.